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Sicilianische Lieder (1)

Von

Tage verstreichen an Tage; noch immer im heiteren Zankle
Hält mich die Sonne, die Lust, hält mich die Laune zurück.
Runzle die Stirn, dich ergreife der Ernst altgriechischer Vorwelt,
Dank es dem Glück, dich umglänzt endlich trinakrische Luft.
Der Pelorias hier und die sandige Zunge des Faro,
Ueber des Meeres Azur lockt dich Kalabrien dort.
Hier am Horne des Stiers durchschwamm Herakles die Wogen,
Hier mit Strudel und Tod kämpfte der Dulder Ulyß.
Still, o nordischer Freund, und zürne mir nicht, ich gestehe,
Manche Scylla hat mir, manche Charybdis gedroht.
Zwinge zum Ernst mich nicht, dem Gemüth vergönne die Freiheit,
Bleibe dem denkenden Ernst, bleibe dem Scherze sein Recht.
Sie gehorchen dir nicht, du bist ihr Diener, ihr Priester,
Höheren folgst du, sie sind dir der begeisternde Gott.
So das Heiterste nur, das Fröhlichste lächelt mir heute,
Und ein seltenes Glück wagt nur ein Thor zu verschmähn
Hat ja den nordischen Gast am Strand schon Amor empfangen,
Als er zum erstenmal Sikulerboden betrat.
Ist′s ein Wunder, das ich der Chalcidenser und Samer,
Spartas wenig und Roms oder Karthagos gedacht?
Denn ans Fenster führt mir der Schalk ein liebliches Mädchen;
Erst nur Blicke, doch bald folgt der verstohlene Gruß.
Und man redet mit Zeichen, man redet mit Augen und Händen;
Andere Sprache vergönnt lauschende Nachbarschaft nicht.
Kannst du lesen, mein holdestes Kind? so frag′ ich mit Zeichen
»Ja«, ist die Antwort. Im Nu liegt auch ein Briefchen bereit.
Und beschwert mit dem Kiesel, damit es der Wind nicht entführe,
Fliegt es ins Fenster und schnell hebt sie erröthend es auf.
Goldne Minuten erwartender Angst, und die zärtliche Antwort
Eilt den gefährlichen Pfad schon in mein Fenster herein.
Worte der Liebe. Wie bin ich dir gut, doch im Hause, mein Liebling,
Darf ich dich jetzt noch nicht sehn, aber heut Abend gewiß.
Zweimal noch durch die Lüfte geleitet Amor die Briefe;
Und der Abend, er naht schon mit beglückendem Schritt.
Bläuer rollet des Meeres Krystall und in glühendem Dufte
Schimmert das holde Gebirg, schimmert Kalabrien schon.
Und die dämmernde Nacht, bald deckt ihr Schleier die Erde,
Und der glückliche Wahn wird dem Verliebten enttäuscht.
Eines Andern Geliebte! Warum nicht? Wundre dich nicht mehr;
Treulos bist du und willst Treue vom schwächeren Weib?
Freund, genieße; du achtest es nur, so lang du′s ersehnest;
Hast du genossen, es folgt gleich die Verachtung ihm nach.
Nur das Edlere bleibt und das Edlere such in der Seele,
Ueber dem Wechselnden steht′s ewig das dauernde fest.

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Gedicht: Sicilianische Lieder (1) von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Sicilianische Lieder (1)“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine Reflexion über das Glück und die Vergänglichkeit der Liebe, eingebettet in die sinnliche Atmosphäre Siziliens. Der Dichter schwelgt in der Lebensfreude und dem Charme der Insel, während er gleichzeitig die flüchtige Natur des romantischen Glücks erkennt. Die eröffnenden Verse spiegeln die Leichtigkeit und Freude wider, die der Dichter auf Sizilien erlebt, und kontrastieren mit dem Drang nach „Ernst“ und den „altgriechischen“ Idealen, die er zunächst ablehnt.

Im Verlauf des Gedichts wird die Geschichte einer heimlichen Romanze entfaltet. Der Dichter wird von Amor, dem Gott der Liebe, empfangen und verliebt sich in ein liebliches Mädchen. Die Kommunikation erfolgt durch geheime Briefe, die über die Fenster ausgetauscht werden, was eine Atmosphäre von Geheimnis und Aufregung schafft. Diese spielerische und sinnliche Interaktion steht im Mittelpunkt des Gedichts, während die Umgebung Siziliens mit seiner Schönheit und den Elementen wie Meer und Abend die Szenerie für die Liebesgeschichte bildet.

Die Wendung des Gedichts erfolgt in den letzten Versen, wo die Flüchtigkeit der Liebe und die Erkenntnis der Untreue des lyrischen Ichs offenbart werden. Das Mädchen ist „eines Andern Geliebte“, und der Dichter reflektiert über die Natur des Begehrens und die Verachtung, die oft auf das Genießen folgt. Diese Einsicht führt zu einer tieferen Betrachtung der Werte, wobei Waiblinger die Bedeutung des „Edleren“ und des „Dauernden“ in der Seele hervorhebt, was eine Abkehr von der flüchtigen, sinnlichen Erfahrung darstellt.

Waiblingers Gedicht ist somit eine Doppelbelichtung. Es feiert die Freude und den Reiz der Liebe und der sinnlichen Welt, die in Sizilien zu finden sind, während er gleichzeitig eine warnende Botschaft über die Vergänglichkeit solcher Freuden sendet. Die Verwendung von Elementen der klassischen Antike, wie Herakles und Odysseus, in der Eröffnung des Gedichts, dient als Kontrast und verstärkt die Botschaft der Vergänglichkeit gegenüber dem „dauernden festen“ und „Edleren“. Das Gedicht endet mit einer bittersüßen Erkenntnis und einer Suche nach tieferen, beständigeren Werten.

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.