Sehnsucht nach Zufall
Es gibt freiwilliges Allein,
Das doch ein wenig innen blutet.
Verfrühter Gast in einer Schenke sein,
Wo uns derzeit kein Freund vermutet – –
Und käme plötzlich doch der Freund herein,
Den gleiche Abenteuer-Wehmut lenkt,
Dann wird es schön! Dann steigt aus schlaffen Träumen
Ein gegenseitig stärkendes Sichbäumen
Und spricht, was in ihm rauh und redlich denkt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Sehnsucht nach Zufall“ von Joachim Ringelnatz thematisiert die menschliche Sehnsucht nach unerwarteter Begegnung und die damit verbundene Hoffnung auf Trost und Verbundenheit. Der Dichter beginnt mit der Beschreibung des Alleinseins, welches zwar freiwillig gewählt ist, jedoch eine subtile Traurigkeit in sich birgt. Die Metapher des „innen blutenden“ Alleinseins verdeutlicht die innere Leere und das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Wärme, das selbst in der Einsamkeit spürbar ist.
Die folgende Strophe verstärkt die Thematik durch das Bild eines „verfrühten Gastes in einer Schenke“. Dieser Gast, der sich in der einsamen Taverne befindet, wartet und sehnt sich nach einer unerwarteten Wendung, nach einem Moment des Zufalls, der die Stille durchbricht. Die Vorstellung, von Freunden unbemerkt zu sein, unterstreicht das Gefühl der Isolation, welches der Dichter als Grund für die Sehnsucht nach dem Zufall darstellt. Die Schenke dient hier als Sinnbild für die Welt, in der man sich manchmal verloren fühlt, während die Anwesenheit eines Freundes als erlösende Begegnung dargestellt wird.
Der Kern des Gedichts offenbart sich in der dritten Strophe, die die Hoffnung auf die ersehnte Begegnung zum Ausdruck bringt. Der Gedanke, dass „plötzlich doch der Freund hereinkäme“, der von „gleiche[r] Abenteuer-Wehmut“ gelenkt wird, erzeugt ein Gefühl der Hoffnung und des Wiedererkennens. Die gemeinsame „Wehmut“, also die Sehnsucht nach etwas Unbekanntem oder Verlorenem, verbindet die beiden, macht die Begegnung bedeutungsvoll und stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit.
Die letzte Zeile, „Und spricht, was in ihm rauh und redlich denkt“, fasst die Essenz der erhofften Begegnung zusammen. Sie verspricht nicht nur Trost und Verständnis, sondern auch die Möglichkeit des ehrlichen Austauschs und der gegenseitigen Stärkung. Das „gegenseitig stärkende Sichbäumen“ symbolisiert die Erschütterung aus dem eintönigen Alltag, die durch die Begegnung mit dem Freund ermöglicht wird. Das Gedicht feiert somit die menschliche Sehnsucht nach Zufall, nach bedeutsamen Begegnungen und nach dem verbindenden Gefühl der gegenseitigen Unterstützung in einer oft als einsam empfundenen Welt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.