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Schwäbische Magister in Rom

Von

1.

Kommt nur alle herbei! Es ziehn süddeutsche Magister
Jetzt in Menge nach Rom, wie ins Collegium ein.
Das ist ein Reisen, und das ist ein Kurs! Ein halb Dutzend nun hat sich
Wochenlang von Bier und von Dogmatik erzählt.

2.

Kaum ist′s Examen erstanden, so packt man auch schon sich das Ränzchen,
Und im geistlichen Frack reist man Italien zu,
Ja, das gehet so schnell, man beschmutzt, von den Qualen des Durchfalls
Noch studentisch geplagt, selber das klassische Rom.

3.

Immer treibt man es so. Es liebt sich der Deutsche den Umweg,
Und die unendliche Welt will er gelehrt sich beschaun.
Sucht sich einer das A im ABC-Buch des Lebens,
Fängt er, ich wette, beim Z mühsam von hinten auch an.

4.

Darum reist man! Es kommt noch dahin, daß selber die Drescher
Zur Verfein′rung der Kunst Rom und Italien sehn.
Und ich ahne, noch füllt der Vatican sich mit Flegeln,
Ja vor das jüngste Gericht pflanzen sie gar noch sich auf.

5.

Und im Tagbuch durchdrischt man die abgedroschensten Dinge,
Wie′s in der Schule man einst, in den Collegien gethan,
Dann mit dem wohlgeschriebenen Heft geht′s wieder nach Hause,
Und als Vikarius erst drischt man gedroschenes Korn.

6.

Einige Malernamen, wie Raffael, Tizian, Guido,
Lernt man mit Fleiß, denn die Kunst ist für Magister auch schön.
Und daß er Alles behält, was er sah, daß er hat, was er nicht sah,
Hat er in Kupferstich Raffaels Logen gekauft.

7.

Schön wie Italiens Himmel, von dem er so vieles gelesen,
Den er nun selber gesehn, folgt die Erinn′rung ihm nach,
Und in traulicher Lust erzählt er dem Küster und Schultheiß
Dann von Antiken und fügt manches: hinzu.

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Gedicht: Schwäbische Magister in Rom von Wilhelm Friedrich Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Schwäbische Magister in Rom“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine satirische Auseinandersetzung mit dem Bildungs- und Reiseverhalten junger deutscher Akademiker, insbesondere schwäbischer Magister, im Rom des frühen 19. Jahrhunderts. Waiblinger kritisiert die oberflächliche Beschäftigung mit Kunst und Kultur, die er als eine Art Modeerscheinung und Ablenkung von den eigentlichen Zielen der Gelehrsamkeit darstellt. Die Verse sind von ironischem Unterton geprägt, der die Schwächen der Protagonisten hervorhebt.

Die ersten Strophen schildern die Reisegruppe junger Gelehrter, die nach Rom aufbricht. Die Reise wird als ein „Kurs“ und eine „Menge“ beschrieben, was das massenhafte Auftreten der Magister unterstreicht. Waiblinger deutet an, dass das eigentliche Ziel der Reise, die Vertiefung des Wissens, durch oberflächliche Aktivitäten wie Biertrinken und Dogmatik-Diskussionen ersetzt wird. Die Bemerkung, dass sie „von den Qualen des Durchfalls“ noch geplagt sind, deutet auf eine gewisse Unreife und mangelnde Vorbereitung hin, bevor sie sich auf die Reise begeben.

Die folgenden Strophen kritisieren die Art und Weise, wie die Magister die Welt und die Kunst wahrnehmen. Waiblinger wirft ihnen vor, einen Umweg zu gehen und die Welt „gelehrt sich beschaun“ zu wollen, was auf eine mangelnde Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit der Kultur hindeutet. Die Metapher des ABC-Buches, das sie „von hinten“ beginnen, verdeutlicht die Kritik an ihrem langsamen und ineffizienten Lernstil. Waiblinger karikiert, dass selbst einfache Leute wie „Drescher“ sich auf den Weg nach Italien machen, um die Kunst zu studieren, was die inflationäre Verbreitung der vermeintlichen Kunstbegeisterung unterstreicht.

In den letzten Strophen wird die Rückkehr der Magister nach Deutschland beschrieben. Die Kupfertische Raffaels, die sie kaufen, repräsentieren die oberflächliche Aneignung von Kunst, die mehr auf dem Erwerb von Souvenirs als auf wirklicher Auseinandersetzung basiert. Die „trauliche Lust“, mit der sie Küster und Schultheißen von ihren Erlebnissen erzählen, unterstreicht die Selbstgefälligkeit und das geringe Reflexionsvermögen der Reisenden. Sie sind mehr daran interessiert, sich mit ihrem Wissen zu profilieren, als die Kunst wirklich zu verstehen. Waiblingers Kritik richtet sich gegen die mangelnde Tiefe und den Konsumcharakter des Bildungsideals seiner Zeit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.