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Mit den Schuhen

Von

Was man will, kann man nicht geben,
und man gibt nur, was man muss,
also gibt man einen Kuss
und man gäbe gern das Leben.

Also gibt man einen Strauß
statt des Gartens um ein Haus,
gibt das Buch als den Entgelt
für die Weisheit aller Welt,

drängt den Ring an einen Finger,
schlingt die Kette um den Hals, –
alles nur ein wie geringer
Abschlag auf die Schuld des Alls!

Jenes Alls, in dem man ist,
Wenn man eine liebt –
wer der Gabe Sinn vergisst,
was hat er, was er gibt?

Alle Gabe ist nur Sinn
und Bild in einer Hülle.
Seit ich fühle alle Fülle,
weiß ich erst, wie arm ich bin!

Mach mich du, geliebtes Kind
zum reichsten von den Leuten!
Sieh nicht an, was Gaben sind
nur an, was sie bedeuten!

Für das ganze Feld die Ähre,
für den Himmel nimm den Stern,
und mich selbst für was ich gern
um Deinetwillen wäre!

Diese Hände mit den Schuhn –
fühle, was sie nur vertreten,
sieh nicht, was sie eben tun,
nur was sie lieber täten!

Nimm sie so, wie ich sie sende
denn sie meinen, Süße –
lieber legt‘ ich beide Hände
unter deine Füße!

Zwar sie stehn für keine Gabe
– dennoch sei das Spiel verziehn!
Alles ist ja nur geliehn,
solang ich dich nicht habe.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Mit den Schuhen von Rudolf Borchardt

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mit den Schuhen“ von Rudolf Borchardt behandelt auf eindrucksvolle Weise die Unzulänglichkeit menschlicher Gabe angesichts wahrer, tiefer Liebe. Der Sprecher reflektiert, wie das, was man einer geliebten Person tatsächlich geben kann, nie dem entspricht, was man ihr gerne geben möchte. Dieser Zwiespalt zwischen Wunsch und Möglichkeit durchzieht das ganze Gedicht und wird in variierenden Bildern und Beispielen entfaltet.

Die äußeren Gaben – Kuss, Blumenstrauß, Buch, Ring – stehen symbolisch für größere, tiefere Dinge, die man gern schenken würde: Leben, Garten, Weltweisheit, Universum. Doch jede dieser Gaben erscheint dem Sprecher als bloßer „Abschlag auf die Schuld des Alls“. Die Liebe stellt eine so umfassende, existentielle Erfahrung dar, dass alle äußeren Zeichen nur unzulängliche Stellvertreter bleiben. Daraus spricht eine Mischung aus Liebe, Demut und ein wenig Verzweiflung: nichts, was man tut oder gibt, scheint auszureichen.

Besonders eindrücklich ist der Gedanke, dass „alle Gabe […] nur Sinn / und Bild in einer Hülle“ sei. Das äußere Geschenk zählt nicht – entscheidend ist seine Bedeutung, seine innere Wahrheit. Der Sprecher bittet die Geliebte darum, nicht auf die Form, sondern auf den Gehalt zu achten. In dieser Bitte liegt ein feiner Appell an das Mitgefühl und das Verständnis der Geliebten, aber auch ein Ausdruck der eigenen Verletzlichkeit.

Im letzten Abschnitt gipfelt das Gedicht in einem demütigen, fast selbstverleugnenden Bild: Die Hände mit den Schuhen sollen nicht danach beurteilt werden, was sie tun, sondern was sie lieber täten – nämlich sich selbst unter die Füße der Geliebten legen, sich ihr völlig hingeben. Diese Geste ist Zeichen bedingungsloser Liebe und Hingabe, aber auch Ausdruck einer tiefen Ohnmacht. Denn solange die Geliebte den Sprecher nicht erwidert, bleibt alles „nur geliehn“.

„Mit den Schuhen“ ist damit ein poetischer Versuch, die innere Unruhe zu fassen, die entsteht, wenn Liebe größer ist als das, was sich ausdrücken lässt. Borchardt gelingt es, diese Spannung in kunstvoller Sprache und dichter Symbolik zu verdichten – zwischen Sehnsucht, Aufopferung und der Erkenntnis menschlicher Begrenztheit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.