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Rechtfertigung

Von

Man hat die Poesie verklagt,
Man zürnt mit uns Poeten,
Daß wir mit stolzem Mut gewagt,
Vor unser Volk zu treten:
Daß wir gewagt, mit lautem Ton
Die Schlummernden zu wecken,
Daß wir gewagt, auf ihrem Thron
Selbst Könige zu schrecken.

Schaut um euch, sagt man: alles still!
Die Lämmer gehn und grasen,
Die ganze Welt ist ein Idyll,
Was nützt es, Lärm zu blasen?
Ihr ruft zur Schlacht tagaus, tagein,
Wer soll die Schlachten schlagen?
So laßt doch das Trompeten sein,
Es will ja doch nichts sagen.

Die Muse ist ein Weib – wohlan!
Für Weiber ziemt die Klause.
Was ficht denn eure Muse an?
Was will sie außerm Hause?
Macht Verse wieder, wie zuvor,
Singt: blühe, liebes Veilchen,
Und findet das kein offnes Ohr,
Ja nun, so schweigt ein Weilchen. –

Und wär es auch, und wär es so,
Wir wollen doch nicht schweigen!
Doch in die Lüfte stolz und froh,
Solln unsre Lieder steigen!
Und wären alle Lerchen stumm
Und alle Nachtigallen,
So soll die Freiheit doch ringsum
Von allen Zweigen schallen!

Was? Wenn der Mond am Himmel steht
Und wenn die Sternlein flimmern,
Da soll euch hurtig der Poet
Ein Mondscheinliedchen wimmern:
Doch wenn aus Nacht und Nebel bricht
Der Zukunft goldne Sonne,
Da, wollt ihr, soll der Dichter nicht
Ausjauchzen seine Wonne?

An jedem Hälmchen, jedem Moos
Soll der Poet sich freuen,
Er soll die Blumen klein und groß
Poetisch wiederkäuen:
Doch wie? wenn der Geschichte Baum
Laut rauscht mit allen Zweigen,
Das freut euch nicht? Das hört ihr kaum?
Da soll der Dichter schweigen?

Ihr laßt ihn gerne dies und das
Von Rausch und Reben singen,
Und wenn der Wein sich rührt im Faß,
Soll auch die Leier klingen:
Doch wenn der Geist, der ew’ge, gärt,
Daß alle Herzen dröhnen,
Das dünkt euch nicht Besingens wert,
Da soll kein Lied ertönen?

Ihr hört dem Dichter ruhig zu,
Singt er von Liebesschmerzen,
Ihr kriegt nicht satt sein ewig: du,
Du, du liegst mir im Herzen:
Doch wenn ein Mann zur Liebsten sich
Die Freiheit hat erkoren,
Da dünkt das Lied euch kümmerlich,
Da schmerzen euch die Ohren?

Nun gut, so rutscht denn auf dem Knie,
So räuchert eurem Fetisch
Und klagt, die neue Poesie
Sei gar zu unästhetisch:
Wir kümmern uns den Teufel drum,
Wie man uns kritisiere,
Und ob ein feines Publikum
Uns höchlich degoutiere! –

Dich, deutsche Jugend, dich allein,
Dich suchen diese Lieder!
Dein Ohr ist wach, dein Herz ist rein,
Dein Busen hallt sie wider!
Die Jugend nur, die Jugend nur,
Die Jugend soll uns hören,
Und nicht Kritik und nicht Zensur
Soll unsre Lieder stören! –

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Rechtfertigung von Robert Eduard Prutz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Rechtfertigung“ von Robert Eduard Prutz ist ein kämpferisches Plädoyer für eine engagierte, politisch wirksame Dichtung. Es verteidigt die Rolle der Dichter als Mahner, Aufwecker und Freiheitskämpfer – und grenzt sich scharf von einer als rückständig empfundenen, unpolitischen und ästhetizistischen Poesieauffassung ab. In lebendigem, teils spöttischem Ton nimmt Prutz Stellung gegen die Kritik, seine Dichtung sei zu laut, zu aufrührerisch oder „unästhetisch“.

Schon in der Eingangsstrophe benennt er den Vorwurf: Die Poeten hätten gewagt, das Volk zu wecken, die Herrschenden zu erschrecken – eine Anklage, die er selbstbewusst annimmt. Die Poesie soll nicht länger nur zart und zurückgezogen sein, sondern „mit lautem Ton“ sprechen, eingreifen, verändern. Besonders deutlich wird dies in der zweiten Strophe, in der das Idyllische und Ruhige – „die Lämmer gehn und grasen“ – als verlogene Fassade entlarvt wird. Der Ruf zur „Schlacht“ ist kein Aufruf zur Gewalt, sondern ein Symbol für geistigen Widerstand gegen Lethargie und Unterdrückung.

Prutz wendet sich ironisch gegen das bürgerliche Ideal der Muse als stilles, weibliches Wesen, das sich gefällig im Inneren hält: Die Dichter sollen angeblich wieder über Veilchen und Liebe schreiben, über Mondschein und Wein – aber nicht über Umbrüche, Aufruhr oder Freiheit. Diese Haltung verspottet er als einengend, ja feige. Der Dichter als bloßer Lieferant von Liebeslyrik wird zum Sinnbild einer entpolitisierten Kunst, die sich nicht an der Realität reibt.

Dem stellt Prutz sein eigenes Ideal entgegen: Dichtung, die sich auf das Leben bezieht, auf die „Zukunfts Sonne“, die durch „Nacht und Nebel“ bricht. Die Natur als poetisches Motiv hat durchaus ihren Platz, doch wenn „der Geschichte Baum rauscht“, müsse der Dichter erst recht singen – gerade dann! Freiheit wird als höchste Geliebte dargestellt, für die man genauso schwärmen dürfe wie für ein geliebtes „Du“. Der Schmerz der Freiheitsliebe ist ebenso echt wie der der persönlichen Liebe – und verdient darum auch poetischen Ausdruck.

In den letzten Strophen nimmt Prutz klar Position: Die Kritik des „feinen Publikums“, die Klage über mangelnde Ästhetik, interessiert ihn nicht. Seine Gedichte gelten nicht der bürgerlichen Salonkultur, sondern der „deutschen Jugend“. Sie allein soll sein Publikum sein – wach, mutig, aufnahmebereit. Damit formuliert Prutz ein poetisches Selbstverständnis, das auf Veränderung und Wirkung zielt, nicht auf Gefälligkeit. „Rechtfertigung“ ist somit nicht nur Verteidigung, sondern Manifest: ein leidenschaftliches Bekenntnis zur politischen, aufrüttelnden Kraft der Poesie.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.