Noch ist die Freiheit nicht verloren
Noch ist die Freiheit nicht verloren,
Noch sind wir nicht, nicht ganz besiegt:
In jedem Lied wird sie geboren,
das aus der Brust der Lerche fliegt;
sie rauscht uns zu im jungen Laube,
im Strom, der sich durch Felsen drängt,
sie glüht im Purpursaft der Traube,
der brausend seine Bande sprengt.
Der sei kein rechter Mann geachtet,
dem lohne nie der Jungfrau Kuß,
der nicht aus tiefster Seele trachtet
wie er der Freiheit dienen muß.
Das Eisen wächst im Schoß der Erden,
es ruht das Feuer in dem Stein –
Und wir allein solln Knechte werden?
Ja, Knechte bleiben, wir allein?
Laßt euch die Kette nicht bekümmern,
die noch an eurem Arme klirrt:
Zwing-Uri liegt in Schutt und Trümmern,
sobald ein Tell geboren wird!
Die blanke Kette ist für Toren,
für freie Männer ist das Schwert:
Noch ist die Freiheit nicht verloren,
solang ein Herz sie noch begehrt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Noch ist die Freiheit nicht verloren“ von Robert Eduard Prutz ist ein leidenschaftlicher Appell an die Hoffnung und den ungebrochenen Freiheitswillen trotz politischer Niederlagen und Unterdrückung. Es reiht sich ein in die Dichtung des Vormärz und gibt der Entschlossenheit Ausdruck, dass wahre Freiheit nicht allein durch äußere Machtverhältnisse besiegt werden kann, solange der innere Wille lebendig bleibt.
Prutz verleiht der Freiheit eine fast naturhafte Unauslöschlichkeit. Sie lebt in den Liedern der Lerche, im Laub, im Strom und sogar im Wein – alles Sinnbilder für Lebendigkeit, Kraft und Entfesselung. Besonders das Bild des „Purpursafts der Traube“, der „brausend seine Bande sprengt“, unterstreicht die explosive Energie, die der Freiheit innewohnt. Die Natur wird hier zur Verbündeten der Freiheit stilisiert, was dem Gedicht eine optimistische Grundstimmung verleiht.
In der zweiten Strophe wird die persönliche Verantwortung betont: Nur wer aus tiefster Überzeugung nach Freiheit strebt, verdient Anerkennung und Liebe. Die rhetorische Frage, ob ausgerechnet der Mensch sich mit der Rolle des Knechts abfinden solle, während Feuer und Eisen gewaltige Kräfte in sich tragen, wirkt wie eine moralische Anklage gegen Resignation und Passivität. Der Freiheitsgedanke wird so nicht nur politisch, sondern auch ethisch aufgeladen.
Besonders eindrucksvoll ist die Bezugnahme auf Wilhelm Tell in der dritten Strophe. Mit dem Bild von Zwing-Uri, einer Festung der Tyrannei, die fällt, sobald ein Held wie Tell auftritt, verweist Prutz auf den Mythos des Einzelnen, der durch seinen Mut historische Veränderungen herbeiführt. Die Kette wird dabei zur Metapher der Unterdrückung, aber auch zum Prüfstein des Charakters: Nur Toren tragen sie stolz, freie Männer aber greifen zum Schwert.
Insgesamt ist das Gedicht ein Aufruf zur Hoffnung, zum Widerstand und zur Treue gegenüber dem Freiheitsideal. Es ermutigt dazu, auch in dunklen Zeiten an der Möglichkeit politischer und geistiger Emanzipation festzuhalten. Der Refrain „Noch ist die Freiheit nicht verloren“ klingt dabei wie ein Schwur, der das Gedicht zu einem kämpferischen und zugleich poetisch verdichteten Freiheitslied macht.
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Lizenz und Verwendung
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