Der Esel des Buridan
Rechts Heu und Klee, links Heu und Klee!
Die allerfettsten Weiden –
Dem Esel tut das Wählen weh,
er kann sich nicht entscheiden.
Er schnopert rechts, er schnopert links
und dreht sich dreimal um –
O Buridan, o Buridan,
was ist dein Esel dumm!
Rechts Gras und Korn, links Gras und Korn,
wie knurrt es ihm im Magen!
Und immer wieder geht’s von vorn,
er mag die Wahl nicht wagen.
So zwischen beiden bleibt er stehn
und fällt vor Hunger um –
O Buridan, o Buridan,
was war dein Esel dumm! –
Rechts freie Presse, links Zensur,
rechts Wahrheit, links die Lüge –
Was stehen wir und grübeln nur
und haben’s nicht Genüge?
Wir horchen rechts, wir horchen links
und fragen fern und nah –
O Buridan, o Buridan,
wär‘ doch dein Esel da!
Die Freiheit rechts, links Sklaverei,
wer könnt‘ es sich verhehlen!
Wir aber stehn und stehn dabei
und wissen nicht zu wählen.
So sind wir doch weit ärger noch
und dummer noch fürwahr,
o Buridan, o Buridan,
als wie dein Esel war!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Esel des Buridan“ von Robert Eduard Prutz stellt eine humorvolle und zugleich tiefgründige Allegorie über Entscheidungsunfähigkeit und die daraus resultierenden Konflikte dar. Die erste Strophe beschreibt den Esel von Buridan, der vor zwei gleichwertigen Optionen steht: Rechts Heu und Klee, links Heu und Klee. Trotz der Fülle an Nahrung kann der Esel sich nicht entscheiden und wird in seinem Zögern immer wieder von einer Seite zur anderen getrieben. Dies führt schließlich dazu, dass der Esel vor Hunger zusammenbricht. Der Dichter kommentiert die Dummheit des Esels, der aufgrund seiner Unentschlossenheit nicht in der Lage ist, eine Wahl zu treffen, die ihm zur Ernährung verhelfen würde.
In der zweiten Strophe wird das Dilemma des Esels weiter ausgebaut: Wieder hat er die Wahl zwischen zwei Nahrungsmitteln – Gras und Korn –, doch auch diesmal zögert er und kann sich nicht entscheiden. Das Bild des hungrigen Esels, der immer wieder von Neuem beginnt, ohne eine Entscheidung zu treffen, verweist auf die menschliche Unfähigkeit, klare Entscheidungen zu treffen, wenn man mit gleichwertigen Alternativen konfrontiert wird. Das Bild des „knurrenden“ Magens verstärkt die Dramatik des Problems, das durch das Zögern und die Unentschlossenheit noch verschärft wird. Der Esel verharrt schließlich in seiner Unfähigkeit und wird symbolisch „vor Hunger umfallen“.
In der dritten Strophe weitet sich das Thema auf gesellschaftliche und politische Dilemmata aus. Der Dichter vergleicht die Entscheidungsproblematik des Esels mit der Unfähigkeit der Menschen, sich in komplexen politischen und sozialen Fragen zu entscheiden. Die Wahl zwischen „freier Presse und Zensur“ oder „Wahrheit und Lüge“ stellt die Schwierigkeiten dar, klare Antworten in einem von Unsicherheit und widersprüchlichen Informationen geprägten Kontext zu finden. Der Mensch hört von „rechts und links“, fragt „fern und nah“, aber kommt letztlich zu keiner Lösung. Die Verzweiflung über diese Unentschlossenheit wird durch den wiederholten Ruf nach Buridan und seinem Esel verdeutlicht, als ob dieser als Symbol für klare Entscheidungen und Handlungen herangezogen wird.
Die letzte Strophe nimmt das Thema auf einer noch tieferen Ebene auf und erweitert es auf moralische und politische Entscheidungen, die oft zwischen gegensätzlichen Extremen wie „Freiheit“ und „Sklaverei“ stehen. Der Dichter kritisiert die gesellschaftliche Lähmung und die Unfähigkeit, sich in solch grundlegenden Fragen zu positionieren. Der Menschen verfallen in ein Grübeln, das zu keiner endgültigen Entscheidung führt, was sie „dummer noch“ macht als der Esel, der zumindest vor seiner Unentschlossenheit stirbt. Durch den Vergleich mit dem Esel von Buridan wird die Paralyse des Menschen angesprochen, der in einer Welt voller Wahlmöglichkeiten stecken bleibt, ohne klare Entscheidungen zu treffen.
Das Gedicht ist eine satirische Reflexion über die Schwierigkeiten und die Dummheit, die aus zu vielen Optionen und einer mangelnden Fähigkeit, zu wählen, resultieren. Es beleuchtet die negativen Auswirkungen von Zögern und Entscheidungsunfähigkeit sowohl im alltäglichen Leben als auch in größeren gesellschaftlichen und politischen Fragen. Der Esel von Buridan wird hier zum Symbol für den Menschen, der in seiner Unentschlossenheit gefangen ist und an seiner eigenen Unfähigkeit scheitert, wichtige Entscheidungen zu treffen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.