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Bretagne

Von

An den Ufern der Bretagne, horch! welch nächtlich Wiederhallen!
Aus den Wellen, aus den Wogen hör‘ ich es wie Lieder schallen,
Und ein Glöcklein tönt herüber, leise wundersamen Klang;
Doch das ist nicht Schiffsgeläute, das ist nicht Matrosensang.

An den Ufern der Bretagne wohnt ein Volk von alter Sitte,
Kreuz und Krone, Gott und König gelten hoch in seiner Mitte;
Doch der König ist gerichtet, und den heiligen Altar
Hält mit blankem Schwert umlagert eine mordgewohnte Schaar.
„Unsern König, den geliebten, wohl! ihr konntet ihn uns nehmen;
Doch des Glaubens heil’ge Flamme sollt ihr nimmer uns bezähmen!
Ist doch Gott an allen Orten, in den Tiefen, auf den Höhn,
Und an allen, allen Orten hört ich seiner Kinder Flehn.“ –

„Leis, o leis! der Abend dämmert! Süße Nacht, o sei willkommen,
O du Balsam den Geschlagnen, o du Schützerin der Frommen!
Leis, o leise! löst den Nachen, nehmet Angel und Geräth,
Täuscht die Späher, täuscht die Wächter, in die Wogen zum Gebet!“

Flinke Ruder hör‘ ich rauschen: Alle kommen, Kinder, Greise,
Weib und Mann, dem Herrn zu dienen nach der Väter frommer Weise,
Neugeborene zu taufen, einzusegnen Ehebund,
Friedenswort und Trost zu hören aus geweihten Priesters Mund.

In der Mitte schwamm der Priester, Kreuz und Hostie in den Händen,
Fischerbuben ihm zur Seite, süßen Weihrauch auszuspenden;
Durch der Wellen dumpfes Murren schallte fröhlich der Choral,
Klang das Glöckchen, tönten Seufzer und Gebete sonder Zahl.

Sprach der Alte durch die Wogen über alle seinen Segen,
Und sie kreuzten sich und neigten seinen Worten sich entgegen;
Durch der Wogen wildes Brausen schallte muthig der Choral,
Pfiff der Sturmwind, schlug der Regen, zuckten Blitze sonder Zahl.

„Herr! Du bist ja aller Orten, auf den Wassern, wie auf Erden:
Laß das Meer, das arg empörte, eine sichre Kirche werden!“
So durch des Gewitters Donnern tönte flehend der Choral,
Krachend Bord und Mast und Ruder, pfeifen Kugeln sonder Zahl.

Umgeschaut! Wachtfeuer glänzen, wiederspiegelnd in den Wogen,
Und der Feinde Kugeln kommen von dem Strande rasch geflogen.
Angeschaut! der Weite Himmel glüht, ein einzig Flammenmeer –
Tod im Wasser, Tod am Ufer, keine Rettung rings umher!

„Herr, du bist ja aller Orten, auf den Wassern, wie auf Erden:
Auch die in dem Meer gestorben, Herr! sie sollen selig werden!“
Also durch der Wogen Wüthen, so durch Kugeln sonder Zahl,
Durch der Feinde Hohngelächter klingt, verklinget der Choral.

– Fahret wohl, ihr frommen Beter! Keiner kam ans Ufer wieder,
Die Gemeinde mit dem Priester schlang die falsche Welle nieder;
Nur am Morgen, unter Trümmern, zwischen Klippen und Gestein,
Schwamm das Kreuz, das wundersel’ge, in des Frühroths gold’nem Schein.

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Gedicht: Bretagne von Robert Eduard Prutz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Bretagne“ von Robert Eduard Prutz erzählt in balladenhafter Form die tragische Geschichte einer frommen Gemeinde, die in Zeiten politischer und religiöser Verfolgung auf dem Meer Zuflucht sucht – und dort den Märtyrertod findet. Es verbindet historische Anklänge mit religiöser Symbolik und schafft ein intensives Bild von Glaube, Opfermut und Untergang.

Die Handlung spielt in der Bretagne, einer Region, die für ihre tief verwurzelte katholische Frömmigkeit bekannt ist. In einer Zeit revolutionärer Umbrüche – vermutlich zur Zeit der Französischen Revolution – ist der König gestürzt, der Altar von „mordgewohnter Schaar“ umstellt. In diesem Spannungsfeld formiert sich ein stiller Widerstand: Die Gläubigen fliehen heimlich nachts auf das Meer, um dort mit einem Priester ihre Riten in Freiheit zu vollziehen. Die Natur wird dabei nicht als Zufluchtsort verklärt, sondern als ebenso gefährlich wie die politischen Umstände – das tobende Meer spiegelt die Bedrohung durch die revolutionären Truppen.

Die Darstellung des Gottesdienstes auf dem Wasser ist von tiefer Symbolik durchzogen: Das Boot wird zur „Kirche“, die Gläubigen bilden eine Gemeinde im Widerstand. Gesänge, Gebete und das Läuten eines Glöckchens stehen in Kontrast zu Sturm, Regen und Kanonendonner. Das Bild des Priesters mit Kreuz und Hostie inmitten der Fluten ruft religiöse Assoziationen wach – das Boot als Arche in einer gottlosen Welt. Trotz der Gefahr halten die Menschen an ihrem Glauben fest, was ihnen eine stille Würde verleiht.

Die Katastrophe folgt mit brutaler Konsequenz: Das Boot wird unter Beschuss genommen, die Menschen ertrinken. Doch selbst in dieser letzten Stunde klingt der Choral – Symbol für einen Glauben, der stärker ist als Tod und Gewalt. Die letzte Strophe bringt die tragische Erzählung zu einem poetischen Höhepunkt: Am Morgen treibt einzig das Kreuz auf dem Wasser, vom Licht des „Frühroths“ umhüllt – ein Bild der Auferstehung, der stillen Hoffnung und des Triumphs der spirituellen Idee über die physische Vernichtung.

„Bretagne“ ist ein Gedicht über die Macht des Glaubens in dunklen Zeiten. Prutz stellt dabei nicht bloß historische Ereignisse dar, sondern erhebt die Geschichte zur Legende – voller Pathos, Symbolik und emotionaler Wucht. Der Choral, der immer wieder durch die Naturgewalten und das Kriegsgeschehen hindurchtönt, wird zur Stimme des Unbeugsamen, die selbst im Untergang nicht verstummt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.