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Auch ein Trinklied

Von

Nun noch einmal, wackre Zecher,
füllet einmal noch die Becher,
füllt sie schäumend bis zum Rand:
Dieser letzte Becher allen,
die als Opfer sind gefallen
für das heißgeliebte Vaterland!

Selig, die den Tod gefunden
unter Leichen, unter Wunden
auf dem offnen Siegesplan!
Diese wohl sind zu beneiden,
denn sie durften hoffend scheiden,
eh‘ die Schmach sie unsrer Tage sahn.

Doch mit schwerverhaltner Träne
wir gedenken auch an jene,
die der Kerker uns entrafft;
die wie Blumen tun im Sande,
welkten in dem Druck der Bande,
in dem Elend der Gefangenschaft!

Oder die in öder Ferne,
unter fremdem, kaltem Sterne,
einsam starben und verbannt!
Die in Sehnsucht sich verzehrten,
die den letzten Blick noch kehrten
nach dem teuren, undankbaren Land! –

Schweb, o schweb mit leisen Flügeln,
schweb, o Lied, zu allen Hügeln,
wo der Teuren Asche ruht:
Sie auch sind für uns gestorben,
sie auch haben mitgeworben
für des Lebens allerhöchstes Gut.

Sag, daß, wie in ihren Tagen,
auch noch jetzt die Herzen schlagen
für die Freiheit stolz und heiß;
sag, daß, ähnlich ihrer Tugend,
auch noch heute Deutschlands Jugend
für das Vaterland zu sterben weiß! –

Horch, welch Brausen in den Lüften!
Aus den Gräbern, aus den Grüften
Flammen schlagen hell hervor:
Kampfplatz ist die Welt geworden,
Schrecken faßt die feilen Horden,
und der Freiheit Sonne schwebt empor!

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Gedicht: Auch ein Trinklied von Robert Eduard Prutz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Auch ein Trinklied“ von Robert Eduard Prutz verbindet auf ungewöhnliche Weise die Form des traditionellen Trinkliedes mit einer tiefpatriotischen und politischen Botschaft. Statt der üblichen Feierlaune eines Trinkliedes steht hier das Gedenken an die Gefallenen und Opfer der Freiheitskämpfe im Zentrum. Der poetische Trinkspruch wird zum Akt kollektiven Erinnerns und zum Aufruf, das Erbe der Toten fortzuführen.

Bereits in der ersten Strophe wird der letzte Becher den Gefallenen gewidmet – jenen, die „für das heißgeliebte Vaterland“ gestorben sind. Die Opfer des Krieges oder der Revolution erscheinen hier als Heldengestalten, deren Tod als ehrenvoll gilt, weil sie noch mit Hoffnung gingen, ohne die „Schmach unsrer Tage“ erleben zu müssen. Diese Zeilen spiegeln den Schmerz über politische Niederlagen oder gesellschaftliche Rückschritte, gegen die einst mutig gekämpft wurde.

Besonders eindrucksvoll ist die Erweiterung des Gedenkens auf jene, die im Kerker, in der Verbannung oder in Isolation starben. Der Text gibt damit nicht nur den Heldentoten auf dem Schlachtfeld, sondern auch den still leidenden Opfern politischer Unterdrückung eine Stimme. Diese Differenzierung unterstreicht die Breite des erlittenen Opfers und zeigt, dass der Kampf für die Freiheit nicht nur durch Waffen, sondern auch durch Standhaftigkeit im Leid geführt wurde.

In der fünften Strophe wird das Lied selbst zur Handlungsträgerin: Es soll über Gräber hinweg „mit leisen Flügeln“ die Erinnerung tragen und die Toten ehren. Damit wird der poetische Akt – das Singen und Dichten – als Form von Widerstand und Traditionspflege gewürdigt. Das lyrische Ich versichert, dass auch in der Gegenwart noch jene Gesinnung lebt, für die einst gestorben wurde: die Liebe zur Freiheit, der Mut zum Opfer, die Kraft der Jugend.

Im Schlussbild schlägt das Gedicht einen heroisch-apokalyptischen Ton an: Aus den Gräbern schlagen Flammen, die Welt wird zum „Kampfplatz“, und die „Freiheitssonne“ erhebt sich. Diese Vision eines kommenden Umbruchs lässt sich als hoffnungsvoller Ausblick deuten, dass die Ideen der Gefallenen weiterleben und schließlich zum Ziel führen werden. Prutz verwandelt das Trinklied so in ein poetisches Mahnmal – getränkt von Trauer, Stolz und einem trotzigen Zukunftsglauben.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.