Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , ,

Imaginärer Lebenslauf

Von

Erst eine Kindheit, grenzenlos und ohne
Verzicht und Ziel. O unbewußte Lust.
Auf einmal Schrecken, Schranke, Schule, Frohne
und Absturz in Versuchung und Verlust.

Trotz. Der Gebogene wird selber Bieger
und rächt an anderen, daß er erlag.
Geliebt, gefürchtet, Retter, Ringer, Sieger
und Überwinder, Schlag auf Schlag.

Und dann allein im Weiten, Leichten, Kalten.
Doch tief in der errichteten Gestalt
ein Atemholen nach dem Ersten, Alten…

Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Imaginärer Lebenslauf von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Imaginärer Lebenslauf“ von Rainer Maria Rilke beschreibt in komprimierter Form die wesentlichen Stationen eines Lebens, das von inneren Kämpfen und äußeren Herausforderungen geprägt ist. Der Sprecher beginnt mit der Darstellung einer unbeschwerten Kindheit, die als „grenzenlos und ohne / Verzicht und Ziel“ beschrieben wird. Diese Phase ist von einer unbewussten Freude und Lust geprägt, was den Zustand der Kindheit als einen der Freiheit und Unschuld zeigt, in dem es weder Einschränkungen noch konkrete Ziele gibt.

Der Übergang vom Unbekümmerten zur Konfrontation mit dem Leben ist abrupt. Die „Schranke, Schule, Frohne“ symbolisieren die gesellschaftlichen und bildungstechnischen Anforderungen, die den Menschen einengen und ihn von der Unbeschwertheit der Kindheit wegführen. Der „Absturz in Versuchung und Verlust“ verdeutlicht die frühen Erfahrungen von Enttäuschung und Scheitern, die zum Verlust der ursprünglichen Unschuld führen. Diese Phase markiert den Beginn der Auseinandersetzung mit der Welt und den eigenen Grenzen.

Trotz dieser Herausforderungen bleibt der Mensch nicht passiv. Er wird „selber Bieger“ und „rächt an anderen, daß er erlag“. Der „Gebogene“, der im Leben Prüfungen und Rückschläge erlebte, wird aktiv und sucht Rache oder Ausgleich, möglicherweise auch in Form von Macht, Anerkennung oder Erfolg. Die Worte „Geliebt, gefürchtet, Retter, Ringer, Sieger / und Überwinder, Schlag auf Schlag“ spiegeln den inneren Konflikt und die Anstrengungen wider, gegen äußere und innere Widerstände zu kämpfen.

Der letzte Teil des Gedichts beschreibt einen Zustand der Einsamkeit und der Reflexion. Die Figur befindet sich nun „allein im Weiten, Leichten, Kalten“, was auf eine Distanz zu den weltlichen Kämpfen und eine Rückkehr zu einem inneren, möglicherweise spirituellen Zustand hinweist. Doch in dieser Gestalt bleibt „ein Atemholen nach dem Ersten, Alten“ – der Wunsch nach einem Rückblick auf das Ursprüngliche, nach dem ersten Zustand der Unschuld. Schließlich kommt es zu einem dramatischen Moment: „Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt“, was eine plötzliche, unerwartete Wendung darstellt und auf eine konfrontative Auseinandersetzung mit einer höheren, transzendentalen Kraft hinweist. Dieser Abschluss lässt offen, wie das Leben weitergeht, und symbolisiert möglicherweise den entscheidenden Moment der Erkenntnis oder Erleuchtung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.