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Der Knabe

Von

Ich möchte einer werden so wie die,
die durch die Nacht mit wilden Pferden fahren,
mit Fackeln, die gleich aufgegangnen Haaren
in ihres Jagens großem Winde wehn.
Vorn möcht ich stehen wie in einem Kahne,
groß und wie eine Fahne aufgerollt.
Dunkel, aber mit einem Helm von Gold,
der unruhig glänzt. Und hinter mir gereiht
zehn Männer aus derselben Dunkelheit
mit Helmen, die, wie meiner, unstät sind,
bald klar wie Glas, bald dunkel, alt und blind.
Und einer steht bei mir und bläst uns Raum
mit der Trompete, welche blitzt und schreit,
und bläst uns eine schwarze Einsamkeit,
durch die wir rasen wie ein rascher Traum:
Die Häuser fallen hinter uns ins Knie,
die Gassen biegen sich uns schief entgegen,
die Plätze weichen aus: wir fassen sie,
und unsre Rosse rauschen wie ein Regen.

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Gedicht: Der Knabe von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Knabe“ von Rainer Maria Rilke vermittelt das Bild eines träumerischen, heroischen Strebens nach Freiheit und Macht. Zu Beginn äußert der Sprecher den Wunsch, „einer zu werden wie die“, die durch die Nacht reiten, begleitet von wilden Pferden und Fackeln. Diese „wilden Pferde“ symbolisieren die ungezähmte Energie und den Drang nach Befreiung, während die Fackeln, die wie „aufgegangene Haare“ wehen, eine mystische, fast übernatürliche Atmosphäre erzeugen. Der Wunsch nach dieser Ungebundenheit und der Bewegung durch die Dunkelheit lässt den Sprecher als eine Figur erscheinen, die sich über das Gewöhnliche erhebt und eine überirdische Kraft besitzt.

Der Sprecher stellt sich vor, an vorderster Stelle dieser „Jagd“ zu stehen, „groß und wie eine Fahne aufgerollt“. Dies kann als Metapher für ein Gefühl von Größe und Unbesiegbarkeit verstanden werden, das der Junge anstrebt. Der „Helm von Gold“ symbolisiert sowohl Schutz als auch Glanz, während die unsteten Helme der anderen Männer die Schwankungen und Unsicherheiten des Lebens widerspiegeln. Die Vorstellung einer Gruppe von Männern, die sich aus der gleichen „Dunkelheit“ erheben, betont eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die sich gemeinsam auf eine Reise begeben, aber jeder ist auf seine Weise vom Leben gezeichnet und getragen.

Das „Blasen der Trompete“ und die „schwarze Einsamkeit“ stellen eine paradoxe Mischung aus Gemeinschaft und Isolation dar. Die Trompete ruft die Gruppe zusammen, doch gleichzeitig wird eine tiefere Einsamkeit vermittelt, die mit dem rasanten Vorwärtsdrang einhergeht. Diese „schwarze Einsamkeit“ könnte die Unvermeidbarkeit des Alleinseins symbolisieren, selbst inmitten eines wilden, kollektiven Strebens. Der rasende, traumhafte Charakter der Bewegung, bei der „die Häuser fallen“ und die „Gassen sich schief entgegenbiegen“, verstärkt den Eindruck einer zerstörerischen, entfesselten Kraft, die alles in ihrem Weg umgestaltet und zu einem Teil ihrer eigenen Energie macht.

Das Gedicht spiegelt somit den Drang des Individuums wider, sich zu entfalten und zu befreien, wobei die ständige Wechselwirkung zwischen Gemeinschaft und Einsamkeit, Klarheit und Dunkelheit ein Gefühl der Unruhe und des Übergangs erzeugt. Rilkes Sprache, die in kraftvollen, fast apokalyptischen Bildern über die wilde Fahrt des Sprechers spricht, lässt die Vorstellung eines idealisierten, aber zugleich gefährlichen Strebens nach Freiheit und Selbstverwirklichung aufkommen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.