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Prolog zu Goethes hundertjähriger Geburtsfeier

Von

Dem Freiherrn freundschaftlichst zugeeignet.

(Zu Wien im Theater am Kärnthner-Tor gesprochen.)

Es scheint vielleicht zu schlicht, das Fest, das wir hier feiern heute,
Erkämpfte Fahnen sieht man nicht, auch hört man kein Geläute.
Die Muse tritt zum Lorbeerstrauch, und pflückt die wen′gen Blätter,
Die Mars ihm noch gelassen hat, des Vaterlandes Retter.
Doch er, dem sie aufs moos′ge Grab den Kranz nun legt, der Tote,
Er ist – der letzte Grieche zwar, allein der erste Gote,
Er hat für uns durch Bild und Ton die trotz′ge Welt bezwungen,
Was uns zuvor durchs Schwert zwar auch, doch niemals ganz gelungen,
Und darum folgt dies Fest mit Recht so schnell dem blut′gen Kriege,
Es gilt dem dauerndsten und auch den schönsten unsrer Siege.

Das zeigt uns schon ein flücht′ger Blick auf fremde Nationen.
Sie alle flechten heut, wie wir, dem Toten frische Kronen!
Der Brite nimmt von Shakespeares Haupt die ewig grünen Reiser
Und bringt sie Deutschlands Goethe dar als nachgebornem Kaiser;
Der Franke, der von Alters her zu unserm Splitterrichter
Bestellt sich dünkt, verspottet uns, doch preist er unsern Dichter,
Und in Italien sogar wird′s staunend zugegeben,
Daß auch in einem Eichenhain noch Nachtigallen leben.
Was lehrt uns das? Doch ganz gewiß, daß wir nicht töricht prahlen,
Wenn wir dem Abgeschiednen jetzt die letzte Schuld bezahlen,
Ja, daß vielleicht zu unsrer Schmach, wenn wir′s nicht selber täten,
Die bittersten der Feinde uns mit Freuden hier verträten.
Denn das, was Goethes Geist errang, das ist, wie Tau und Regen,
Ein Eigentum der ganzen Welt, nicht bloß für uns ein Segen,
Es kennt, wie alles Höchste, nicht die Volks- und Länderschranken,
Drum braucht man bloß ein Mensch zu sein, um ihm dafür zu danken.

Dem Deutschen ziemt′s vor allen zwar, denn wenn ihm nicht noch länger
Europa stolz das Ohr verschließt, so dankt er′s seinem Sänger,
Der unsrer Sprache rauhen Klang dadurch vergessen machte,
Daß er das Lied des Sophokles in ihr zu Ende brachte.
Nun müssen unsre Nachbarn uns den Ruhm denn endlich gönnen,
Daß die Heroen auch bei uns zur Not erstehen können;
Doch rufen sie uns jetzt noch zu: Ihr wißt sie nicht zu ehren!
Laßt uns sie denn des Gegenteils, und nicht bloß heut, belehren.
Verlangen wir vom Spiegel nicht des Schwertes Eigenschaften
Und nicht vom Schwert die Tugenden, die nur am Spiegel haften!
Nach dieser Regel läßt sich ja die Sonne selbst verdammen,
Weil man bei ihr nicht kochen kann, wie bei des Herdes Flammen.
Was Goethe war, das mache sich ein jeder ganz zu eigen,
Was Goethe mangelt, möge uns ein spätrer Meister zeigen.
Und schaue keiner zu genau auf seine Muttermäler:
Zuletzt sind die Verdienste sein und unser sind die Fehler!
Drum mahne uns, was ihm gebricht, nur an die eignen Lücken;
Wenn wir sie kennen, wird′s wohl auch, sie auszufüllen, glücken!
Und schützen wir, und wär′ es selbst mit unsrem Blut, die Saaten,
Die er verschwendrisch ausgestreut, zu innern schönen Taten!
Denn warum darf der wilde Krieg das Chaos halb enthüllen?
Doch nur, um uns mit Furcht und Graun vorm Ganzen zu erfüllen,
Doch nur, um aufs verlorne Maß die Welt zurückzuführen,
Damit nicht irre Geister mehr am Fundamente rühren,
Damit nicht das Unmögliche auf dieser armen Erde
Gefordert, noch das Mögliche zurückgehalten werde.
Und dieses war′s, was Goethe stets mit Wort und Tat verkündigt,
In einer Zeit, die links und rechts, wie unsre auch, gesündigt,
Und hätt′ er nichts als das getan, so wär′s genug gewesen,
Und immer müßten wir noch jetzt zum Führer ihn erlesen.
Denn eben dieses macht ihn groß, daß er, so reich, wie keiner,
Sich der Notwendigkeit gebeugt, und sich beschränkt, wie einer.
Wer hat sie klarer wohl gesehn, des Himmels letzte Sterne?
Doch kannt′ er auch den Zwischenraum, die ungeheure Ferne,
Drum strebt′ er nicht hinauf, er war zufrieden, daß sie schienen,
Da meinten unsre Kinder denn, er fürchte sich vor ihnen.
Doch grade, weil er Dichter war im Ganze und im Großen,
Verlor er nicht, wie andre, sich im Maß- und Grenzenlosen,
Denn wer nur dies und das besitzt, muß vieles überschätzen,
Wer alles hat, hat alles auch in Harmonie zu setzen,
Und wär′ auch einzeln jede Kraft, die er besaß, zu steigern:
Der Einheit seines Wesens darf kein Gott die Ehrfurcht weigern. –

Zwar stand er nicht auf sich allein; die ihm vorangeschritten,
Sie haben nicht umsonst gelebt und nicht umsonst gestritten.
Die Blume keimt nicht in der Luft, die Elemente müssen
Sich mischen, eh′ sie werden kann, und Licht und Staub sich küssen.
Die Blume aber ist′s allein, die süßen Duft versendet,
Und nicht dem Licht und nicht dem Staub, der Dank wird ihr gespendet.
Schuf Luther denn das Instrument, gab Klopstock ihm die Saiten,
Ließ Lessing sanft zur Prüfung dann die Finger drüber gleiten,
Schlug Bürger schon die Töne an, wir wollen′s nicht vergessen,
Doch dem, der die Musik gemacht, darum nicht karger messen!
Und kommt die Zeit – sie kommt gewiß! – wo jedes Volkes Tempel
Zerfällt, weil jedes sich gefügt der Menschheit reinstem Stempel;
Wo man den Wunderhort der Welt noch einmal wieder sichtet
Und nun, im allergrößten Stil, den letzten Bau errichtet:
Dann wird des Tabernakels Stolz des Altars Sockel zieren
Und in des Bodens Mosaik sich manche Perl′ verlieren;
Dann wird die bloße Mauer schon in purem Golde glänzen,
Und jedes Tor ein Kapitäl von Edelsteinen kränzen;
Allein auch dann wird manch Juwel aus Goethes Schrein noch funkeln,
Denn viele kann der Himmel kaum durch einen Stern verdunkeln.

Und nun zu einer andern Pflicht! Der Herzog sei gepriesen,
Der an dem großen Goethe einst sich selber groß erwiesen!
Nicht, weil er Kunst und Wissenschaft geehrt: wer wird ihn krönen,
Weil er sich selbst nicht schändete? Das hieße ihn verhöhnen!
Nein, weil er nicht den zehnten Kranz auf eine Stirne drückte,
Die jegliche der Musen schon vor ihm mit einem schmückte;
Weil er noch minder aus der Schar den Ersten, Besten wählte,
Dem′s freilich an der Leier nicht, doch an der Weihe fehlte.
Denn beides wöge viel zu leicht! Den König aufzufinden,
Der schon den Purpurmantel trägt, gelingt wohl auch dem Blinden,
Und wer Apoll verehren will im letzten Opferknaben,
Der buhlt nur um den leeren Schein und wird ihn doch nicht haben.
Nein, weil er gleich mit sichrem Blick den Genius erkannte,
Den Nikolai, der noch lebt, den bösen Dämon nannte,
Und weil er, wie er ihn erkannt, ihn auch zu sich erhoben,
Trotz seiner Neider häm′schem Chor und der Philister Toben!
Das zeigt, daß auch in seiner Brust das rechte Herz geschlagen,
Denn niemals werden groß ich klein sich anziehn und ertragen.
Und darum werde nie ein Kranz um Goethes Haupt gewunden,
Eh′ man für Weimars Karl August den frischen Strauß gebunden!

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Gedicht: Prolog zu Goethes hundertjähriger Geburtsfeier von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Prolog zu Goethes hundertjähriger Geburtsfeier“ von Friedrich Hebbel ist eine Lobeshymne auf Johann Wolfgang von Goethe, die anlässlich dessen hundertjähriger Geburt gefeiert wurde. Es ist mehr als nur eine Ehrung; es ist eine komplexe Reflexion über Goethes Bedeutung für die deutsche Kultur und die Welt, eingebettet in eine Betrachtung der Rolle des Dichters und des Künstlers in der Gesellschaft.

Hebbel beginnt mit der Feststellung, dass die Feierlichkeiten bescheiden erscheinen mögen, aber die wahre Größe Goethes in seinen Werken und seinem bleibenden Einfluss liegt. Er vergleicht Goethe mit einem „letzten Griechen“ und „ersten Goten“, was seine Position als Bindeglied zwischen der antiken und der modernen Welt unterstreicht. Durch die Anerkennung ausländischer Nationen, wie Briten, Franzosen und Italienern, betont Hebbel die universelle Bedeutung Goethes, dessen Werk über nationale Grenzen hinausreicht und ein gemeinsames Erbe der Menschheit darstellt. Die Tatsache, dass selbst Gegner Goethes seinen Wert anerkennen, dient als weiteres Indiz für seine außergewöhnliche Leistung.

Das Gedicht entfaltet sich zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der Natur des Dichters und der Kunst. Hebbel betont, dass Goethes Größe nicht nur in seinen Fähigkeiten, sondern auch in seiner Fähigkeit lag, sich den Grenzen der Realität anzupassen und sich nicht im Unendlichen zu verlieren. Er war sich der Notwendigkeit bewusst, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und das Chaos der Welt in Einklang zu bringen. Hebbel vergleicht Goethe mit einer Blume, die aus der Zusammenarbeit verschiedener Elemente hervorgeht, und unterstreicht die Bedeutung der Vorgänger und Wegbereiter, die den Weg für Goethes Schaffen geebnet haben. Dennoch gebührt Goethe der Dank, denn er ist derjenige, der die Symphonie vollendet hat.

Der Prolog endet mit einer Würdigung des Herzogs von Weimar, der Goethe förderte und damit seine eigene Größe bewies. Hebbel hebt hervor, dass die wahre Würdigung darin besteht, das Genie zu erkennen und zu fördern, auch wenn es nicht den etablierten Konventionen entspricht. Diese Anerkennung des Einzelnen und seiner Leistung ist ein zentrales Thema des Gedichts. Hebbel beschreibt die Komplexität des Dichters und seines Vermächtnisses, das in einem universellen Kontext und in der menschlichen Gesellschaft seine wahre Größe offenbart.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hebbels „Prolog zu Goethes hundertjähriger Geburtsfeier“ mehr als nur eine Feier ist. Es ist eine philosophische Auseinandersetzung mit der Natur des Genies, der Kunst und der Gesellschaft. Das Gedicht feiert nicht nur Goethe, sondern wirft auch Fragen nach dem Wert der Kunst und dem Platz des Dichters in der Welt auf. Es ist ein Denkmal für Goethes bleibenden Einfluss und ein Aufruf, sein Erbe zu bewahren und weiterzuentwickeln.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.