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Vagantenweihe

Von

Zugvögel ziehn in grauem Ernst,
Da stehst du Walter nun und lernst,
O vanitatum vanitas.
Die Jahre welken ’s greise Haupt.
Fast steht der Hain schon blattberaubt –
Wie kalt des Regens dünnes Naß!

Und doch Kopf oben! unverzagt,
Der Jugend Rosen unbenagt,
Trotz vanitatum vanitas.
Sie regen sich voll dunklem Duft
In ewig blauer Feierluft:
Der tiefe rote Kuß macht das.

Ich hab‘ viel Marterbilder hier,
Sind gar geringe Kirchenzier!
Und voll von Pein und vanitas.
So mager, leer und dintenvoll,
Der Saal, darin Latein erscholl,
Ein Männlein da, das Leder ganz.

Die Sonne leuchtet treu und warm,
Da leuchtet Lieb‘ mir schon im Arm,
O iuventutis sanitas.
Die wieder weichen Lippen los
Wie Elfenbein, die Hand im Schoß;
Von blauem Glanz die Augen naß.

Und dann ein Blick aus warmem Lid,
Der wieder tief ins Traumland flieht,
Der vanitatum vanitas.
Des Odems Duft durchgraust mein Mark,
Das weiht den Mann, das macht ihn stark,
Ja bis zum Gotte hebt ihn das.

Und meidet mich die Klerisei,
Weil meinen Wirbel floh die Weih‘ –
Nur vanitatum vanitas.
Das ist ja nur der pure Neid,
Der hüllt sich dann in Kreuz und Leid
Und donnert los im Lügenbaß.

Das Altarbild gar lieb und hold,
Erhellt von zartem Lichtergold,
Das, Himmel, ist nicht vanitas.
Das ist ein Tag, der ewig steht,
Mir niemals aus dem Sinne geht,
Ein Tag im Wald im weichen Gras.

Das alles war so ernst, so tief,
Wie sie so himmlisch lag und schlief,
Trotz vanitatum vanitas.
Und Blumen frisch und Amselschlag,
Der weihen Ruh‘ ich denken mag,
Des weichen Golds im grünen Gras.

Ein Ruf, von wo, der sich verlor,
Da fährt sie scheu vom Grund empor:
Dein Schrecken, Kind, ist vanitas.
Die Locken fahren wild herum,
O Gott im Himmel, war das dumm, –
Ich nenne meine Weihe das.

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Gedicht: Vagantenweihe von Peter Hille

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Vagantenweihe“ von Peter Hille thematisiert die persönliche Reife und Weihe des lyrischen Ichs durch die Erfahrungen von Liebe, Natur und sinnlicher Begegnung im Gegensatz zur Kälte und Strenge kirchlicher und gesellschaftlicher Normen. Die wiederkehrende Formel „vanitatum vanitas“ verweist auf die Vergänglichkeit und die Sinnlosigkeit vieler irdischer Dinge, wird jedoch im Verlauf des Gedichts immer wieder trotzig relativiert. Während der Herbst, die „welkenden Jahre“ und das „graue Haupt“ des Sprechers die Vergänglichkeit betonen, bleibt die Lebenslust und Sinnlichkeit des lyrischen Ichs ungebrochen: „Kopf oben! unverzagt“.

Der Gegensatz zwischen kirchlicher Strenge und weltlicher Lebensfreude ist zentral: Die „Marterbilder“ in den „geringen Kirchen“ und der „leere Saal“ voller „Latein“ stehen für eine asketische und lebensferne Geisteshaltung, die das Ich ablehnt. Stattdessen wird die Erfahrung der Liebe und der Natur zum eigentlichen Weiheakt. Die sinnliche Nähe einer geliebten Frau, der „tiefe rote Kuss“ und der „blaue Glanz“ ihrer Augen werden als Kraftquellen beschrieben, die das Ich bis zum „Gotte hebt“. Hier tritt die körperliche und emotionale Verbindung als Gegengewicht zur „Klerisei“ auf, die nur „Neid“ empfindet und sich hinter religiöser Moral versteckt.

Auch die Natur spielt eine zentrale Rolle in dieser Weihe: Das „Altarbild“ der Geliebten im „weichen Gras“, der „Amselschlag“ und die „Blumen frisch“ bilden eine sakrale Landschaft, in der das lyrische Ich die wahre Feier des Lebens findet. Diese Szene wird zu einem „Tag, der ewig steht“ – ein zeitloser, intensiver Moment des Einklangs mit der Welt und der eigenen Lebendigkeit. In der Natur findet das lyrische Ich eine Gegenkirche zur Institution, eine natürliche Weihe, die unabhängig von Dogmen funktioniert.

Am Ende gipfelt das Gedicht in einer heiteren Wendung: Als das Mädchen „scheu vom Grund empor“ fährt und „die Locken wild herum“ wirbelt, erkennt das Ich, dass auch der kleine Schreck des Mädchens „vanitas“ ist – also letztlich unbedeutend im Angesicht der tieferen Weihe, die das Erlebnis für ihn darstellt. So wird „Vagantenweihe“ zur Feier der freien, ungebundenen Lebensweise und des unmittelbaren Erlebens, das sich gegen die Leere äußerlicher Zwänge und gegen die Askese der „Klerisei“ behauptet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.