Herbstmorgen
Vater, herrlicher Vater,
Soll ich meine Seele dir senden,
Was soll ich mit ihr,
Ich verstehe sie ja nicht mal zu halten,
Nicht zu gestalten?
Und sie liebt dich so,
Und ich treibe sie weit,
Weit ab von dir,
In Nesseln und in Sumpf,
Und ihre scharfen Sinne
Wurden dumpf.
Wie dieser blaue,
Rüstige Morgen,
Wie er sich öffnet
Deiner starken Sonne
Freundlichem Gold,
So auf zu dir.
Und wie jung und weiß umflimmert
Die Herbstblumen bunte
Kinderwelt
Hier auf dem Schulhof,
So sollen munter
Meiner Seele
Ewige Jugendkräfte
Wandeln vor dir.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Herbstmorgen“ von Peter Hille thematisiert eine tiefe innere Zerrissenheit und zugleich eine spirituelle Sehnsucht nach göttlicher Nähe. Das lyrische Ich wendet sich direkt an „Vater“, eine Anrede, die sowohl auf Gott als auch allgemein auf eine höhere Instanz verweisen kann. Es beklagt die eigene Hilflosigkeit im Umgang mit der eigenen Seele, die es weder „halten“ noch „gestalten“ kann. Diese Selbstanklage ist von Schuldgefühlen geprägt, da die Seele trotz ihrer Liebe zu Gott von ihrem eigentlichen Weg abgebracht wurde und in „Nesseln“ und „Sumpf“ – also in unheilvolle, trübe Bereiche – geraten ist.
Der Kontrast zwischen der geistigen Orientierungslosigkeit und der Schönheit der Natur am „blauen, rüstigen Morgen“ ist auffällig. Die Natur, die sich der „starken Sonne“ öffnet, dient als Vorbild und Gegenbild: Während die Seele des Sprechers von Dunkelheit und Abstumpfung gezeichnet ist, öffnet sich die Welt draußen dem Licht und der Wärme des Morgens. Die „freundliche Sonne“ und die von ihr durchdrungene Natur erscheinen hier fast als ein Sinnbild für göttliche Gnade und Erneuerung.
Besonders im Schlussbild mit den „jung und weiß umflimmerten“ Herbstblumen auf dem Schulhof klingt eine Hoffnung an. Die „ewige Jugendkräfte“ der Seele sollen, ähnlich wie die Kinder auf dem Schulhof, unbeschwert und lebendig vor Gott treten. Trotz der vorherigen Verzweiflung über die eigene Entfremdung von Gott schwingt hier ein Wunsch nach Heilung, Reinheit und geistiger Rückkehr mit. Das Gedicht kreist somit um die Themen Schuld, Läuterung und die Sehnsucht nach einer Rückbindung an das Göttliche, getragen von einer Naturstimmung, die zwischen Melancholie und Verheißung pendelt.
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Lizenz und Verwendung
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