Gewitter auf dem Meere
Es ist so ein eigener Schein, so ein grünheller innerer Ton wie eine Wiese,
von der niemand weiß, wo sie herkommt und mit ihrem Wachstum leuchtet da
mitten auf den Wellen, wo sie sich wie ein Hügel erheben.
Höher und höher sich dehnen.
Und da am Strand zu meinen Füßen, wie Ackerkrume ist das,
wie Ackerkrume mit ihren schwarzen, fruchtschwellenden Kämmen,
die sich vornüber zur Seite neigen.
Wie üppige Wünsche, ungeheuer und lüstern wölbt sich das blaue Gewölk
zu wilden Hallen dröhnend zuckender Leidenschaften.
Bleiches Grauen in dünnen Streifen zieht darüber,
ein ohnmächtiges Gewissen, das Furcht hat.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Gewitter auf dem Meere“ von Peter Hille entfaltet eine intensive, fast überwältigende Naturstimmung, in der das Meer und das heraufziehende Gewitter zu Spiegelbildern innerer und äußerer Kräfte werden. Bereits in der ersten Zeile beschreibt Hille einen „grünhellen inneren Ton“, der die Meeresoberfläche in ein geheimnisvolles Licht taucht. Diese Erscheinung wird mit einer Wiese verglichen, die mitten auf den Wellen wie ein „Hügel“ zu wachsen scheint. Hier verbindet sich das Unheimliche des Naturphänomens mit einem beinahe organischen Bild, das Leben und Bedrohung zugleich ausstrahlt.
Die zweite Bildwelt beschreibt das Meer am Strand, das wie „Ackerkrume“ wirkt, mit „fruchtschwellenden Kämmen“. Hier erscheint das Wasser nicht mehr als reine Flüssigkeit, sondern als eine wogende, fast fruchtbare Masse. Die Kämme der Wellen neigen sich wie reife Halme, was das Motiv der Naturfruchtbarkeit und der überbordenden Fülle unterstreicht. Diese Bilder machen das Meer zu einer lebendigen Kraft, die sowohl nährt als auch überwältigt.
In der dritten Passage steigert sich die Szenerie ins Bedrohliche. Das „blaue Gewölk“ wird zu einer Metapher für ungezügelte, „lüsterne“ und „wilde“ Kräfte, die sich wie „Hallen dröhnend zuckender Leidenschaften“ über das Meer wölben. Diese Darstellung verleiht dem Gewitter eine fast erotisch aufgeladene Wucht – Natur als ein Ort, an dem sich dunkle Triebe und unbändige Energie entladen.
Der letzte Abschnitt bringt eine emotionale Brechung: Über dem wilden Treiben des Gewitters liegt „bleiches Grauen“ in „dünnen Streifen“. Diese wirken wie ein „ohnmächtiges Gewissen“, das die entfesselten Leidenschaften zwar erkennt, ihnen aber nichts entgegensetzen kann. So schließt das Gedicht mit einem Gefühl von Machtlosigkeit und Furcht vor den Naturgewalten und den eigenen inneren Abgründen.
Peter Hille verbindet in diesem Gedicht kraftvolle Naturmetaphorik mit psychologischen Untertönen. Das Meer, das Gewitter und der Himmel spiegeln eine Welt wider, in der Natur und Emotionen zu einem untrennbaren Ganzen verschmelzen, das gleichermaßen fasziniert und erschreckt.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.