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Das Vergißmeinnicht

Von

Sinniges Blümchen,
Blaues Vergißmeinnicht,
Entpflückt dem leise
Murmelnden Bach
Von Mädchenhand,
Tränenbetaut
Unterm Abschiedskuß
Dem scheidenden
Liebsten gegeben, –
Hast eine Seele du?
Riß die Holde
Grausam
Dich aus bachumrieseltem
Blumenleben?
Fühltest du schmerzlich
Die pflückende Hand?
Starbest du
Von nährender Wurzel
Geknickt?
Himmelblau,
Wie zuvor,
Noch schimmert dein Aug‘! —

In ein Wasserglas
Stellt dich der Knabe,
Kaum daß er das Ränzel
An den Nagel gehängt:

Und frisch bleibst du,
Blühend
Als wenn noch
Wurzelnd du ständest im Bach.

Oft zur Sehnsuchtsstunde
Der Dämmerung
Nimmt er dich aus dem Glase,
Betrachtet dich innig,
Liebesbote du,
Von ihrer Hand
Mit Tränen benetzt,
Gewandert in seine. —

Die Linke im braunen Gelock,
Ans Fenster sich lehnend,
So sieht er mit sehnendem Blick
Hinaus in die Gegend,
Wo weit dahinten
Sein Liebchen weilt.
Seine Gedanken gehen
Weit die Giebel hinüber,
Die Türme und Mauern der Stadt
Weit, weit hinweg,
Bis wo in stiller Kammer
Ein Mägdlein steht am Fenster,
Und Tränen der Wehmut
Im Auge
Ins blassende Abendrot sieht…
Jetzt, Vergißmeinnicht,
Streift dich sein Auge,
Er küßt anstatt der lieben
Geberin dich.
Fühltest du seinen Kuß,
Blume der Treue,
Zürnst du der Maid,
Daß dein Leben sie kürzte,
Das nun bald welkende?
Oder lispelst
Ihre Mahnung
Dem Jüngling zu,
Ihr Tränenwort:
„Vergiß nicht mein!“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Vergißmeinnicht von Peter Hille

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Vergißmeinnicht“ von Peter Hille thematisiert die Symbolkraft einer kleinen Blume, die als Zeichen der Liebe und Erinnerung zwischen zwei Menschen vermittelt wird. Im Zentrum steht das Vergissmeinnicht, das von einem Mädchen beim Abschied gepflückt und dem scheidenden Liebsten überreicht wird. Das lyrische Ich spricht die Blume direkt an und fragt nach ihren Empfindungen und nach dem Schmerz, der mit dem Herausreißen aus der Natur verbunden ist. Diese Fragen verleihen der Blume fast menschliche Züge und rücken das Motiv der Vergänglichkeit und der Opferbereitschaft in den Fokus.

Die zweite Strophe zeigt die Blume im Besitz des Jungen, der sie sorgsam in ein Wasserglas stellt. Trotz des Entwurzeltseins bleibt das Vergissmeinnicht äußerlich unversehrt und frisch, als ob es weiterhin mit dem Bach verbunden sei. Dieses Bild unterstreicht die Kraft der Erinnerung und die Beständigkeit der Liebe, die selbst nach der Trennung weiterlebt. Die Blume fungiert hier als „Liebesbote“, der das Mädchen symbolisch ersetzt und den Jungen an sie erinnert, vor allem in Momenten der Sehnsucht während der Dämmerung.

Besonders eindrucksvoll ist die dritte Strophe, in der die Distanz zwischen den Liebenden geschildert wird. Während der Junge sehnsuchtsvoll aus dem Fenster blickt, wandern seine Gedanken zu dem Mädchen, das gleichzeitig wehmütig im fernen Abendrot steht. Hier entsteht ein starker Kontrast zwischen Nähe und Entfernung, zwischen innerer Verbundenheit und äußerer Trennung. Die Stadt mit ihren Mauern und Türmen wird zum Symbol der räumlichen Distanz, die jedoch von der Kraft der Gefühle überwunden wird.

Am Ende stellt sich erneut die Frage nach der Perspektive der Blume. Wird sie dem Mädchen zürnen für ihr nahendes Verwelken oder bleibt sie treu dem Symbolcharakter, der im Namen „Vergißmeinnicht“ anklingt? Diese offene Frage verstärkt die emotionale Tiefe des Gedichts, das zentrale Themen wie Treue, Vergänglichkeit, Trennungsschmerz und die Macht der Erinnerung behandelt. Die Blume wird so zur stillen Zeugin einer Liebesgeschichte, die über die Grenzen von Raum und Zeit hinaus wirkt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.