Abendröte
Sieh da droben die Rosen! Ein glüher Jubel
Die Wangen der Nacht
In Scharlach und Purpurpracht.
Nun ist da droben Hochzeit:
Die Königskinder des Himmelreiches.
Strenge Augen erster Schönheit,
Frieden frierend,
Wie vor kämpfend heißen Rosen
Wunden an den schweren Schmuck goldspielender Brokate
Des Samtes tiefenweiches Blut,
Gebettet in des Schnees nachtgeflammte,
Flockenzarte Wärme: den hehren Hermelin.
Die Kränze nehmen sie von herben Scheiteln ab
Und heben Bechertau an ihres Lebens
Rötlich reine Kelche,
Und verwunden
Die Verklärung
Saftigherber Früchte.
Des strengen Lagers scheue Falten warten…
Wie entsetzlich ist Schönheit!…
Wie eine Siegesfahne hält
Der Himmel
Des Lebens leuchtendrote Brunst mit aller seiner Adlermacht.
Der Sieger sinkt.
Die Nacht fällt in den Wein.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Abendröte“ von Peter Hille beschreibt in eindrucksvollen Bildern die Stimmung eines Sonnenuntergangs, der als eine Mischung aus festlicher Pracht und tragischer Vergänglichkeit dargestellt wird. Die „Abendröte“ wird mit einer Hochzeit im Himmel verglichen, in der die Natur und der Kosmos in scharlachrote und purpurne Farben getaucht werden. Der Übergang vom Tag zur Nacht erscheint hier als ein feierlicher, fast sakraler Moment, der von Schönheit, aber auch von einer unterschwelligen Schwere geprägt ist.
Die Bildsprache des Gedichts ist von einer fast barocken Fülle und Symbolik geprägt. Die Natur wird mit Motiven aus der höfischen Welt beschrieben: „Brokate“, „Hermelin“ und „Kelche“ erinnern an königliche Hochzeiten und zeremonielle Pracht. Doch die „rosenheißen“ Farben tragen zugleich eine verletzende, „verwundende“ Kraft in sich. Schönheit wird hier nicht nur als sinnliche Erfüllung, sondern auch als schmerzhaft und überwältigend empfunden. Der Kontrast zwischen der erhabenen Feierlichkeit und der Andeutung von Leiden zieht sich durch das gesamte Gedicht.
Im letzten Teil verdichtet sich die Symbolik: Der Himmel wird zur „Siegesfahne“, der Tag zum „Sieger“, der letztlich „sinkt“. Der Sonnenuntergang endet nicht nur in Farbenrausch und Festlichkeit, sondern auch in der unausweichlichen Dunkelheit der Nacht, die „in den Wein“ fällt. Hier klingt ein Motiv der Vergänglichkeit an, das den festlichen Glanz mit einer tragischen Note versieht. Schönheit wird somit ambivalent dargestellt: als erhaben und gewaltig, aber auch als vergänglich und furchteinflößend.
„Abendröte“ vereint Naturbetrachtung mit mythisch anmutenden Bildern und erschafft so eine dichte Atmosphäre zwischen Feier und Vergehen, zwischen Triumph und Untergang. Hilles Sprache macht die Natur zu einem Ort des ekstatischen Geschehens, das sowohl Bewunderung als auch Beklemmung auslöst.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.