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Zwei Bübchen sah ich heut

Von

Zwei Bübchen sah ich heut, in Lumpen beide,
Eins barfuß, eins mit Stiefeln ausgerüstet,
Danach wohl keine Seele sonst gelüstet –
Fast wie das Messer ohne Griff und Schneide.

Sein Spielgesell indessen sah’s voll Neide,
Wie sich der Freund mit seinem Schuhwerk brüstet;
Denn ob es auch der Zahn der Zeit verwüstet,
Strahlt der Besitzer doch in stolzer Freude.

Den Soldo, den er erst erbetteln müssen,
Gab er dem Stiefelputzer, mit Grimassen -!
Grinsend vom einen bis zum andern Ohre.

Und sein Triumphblick that der Welt zu wissen:
Wer Stiefel hat, kann sie auch putzen lassen,
Und wer sie putzen läßt, ist ein Signore.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Zwei Bübchen sah ich heut von Paul Heyse

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zwei Bübchen sah ich heut“ von Paul Heyse schildert eine kurze, aber prägnante Alltagsszene, in der soziale Ungleichheit und kindlicher Stolz thematisiert werden. Zwei arme Jungen begegnen sich, beide in Lumpen, doch der eine besitzt ein Paar alte Stiefel, während der andere barfuß ist. Trotz des erbärmlichen Zustands der Stiefel empfindet der Besitzer einen übergroßen Stolz, der seinen sozialen Status über den des barfüßigen Freundes erhebt.

Das Gedicht nutzt dabei eine Mischung aus Ironie und Empathie: Der vermeintliche Triumph des Jungen mit den Stiefeln wirkt fast tragikomisch, da das Schuhwerk kaum noch brauchbar ist – „fast wie das Messer ohne Griff und Schneide“. Doch gerade dieser Moment macht die Szene besonders menschlich, denn es zeigt, wie wichtig selbst kleine Symbole von Besitz und Status im kindlichen Erleben sein können. Der Stiefelträger fühlt sich als „Signore“, als jemand mit gesellschaftlicher Würde, nur weil er seine Stiefel sogar vom Stiefelputzer reinigen lassen kann.

Die Sprache des Gedichts arbeitet mit Kontrasten und einer feinen Ironie. Der „Triumphblick“ des Jungen wirkt übersteigert und gleichzeitig rührend. Der Neid des barfüßigen Kindes und die Grimassen des Stiefelputzers fügen der Szene eine leichte, aber scharfsinnige Sozialkritik hinzu. Trotz aller Armut werden Hierarchien im Kleinen spürbar, wobei Heyse den Stolz des Kindes nicht herabwürdigt, sondern verständnisvoll zeichnet.

Insgesamt offenbart das Gedicht eine stille Beobachtung von Stolz, Bedürftigkeit und der menschlichen Tendenz, auch im Elend nach Würde zu streben. Heyse gelingt es, eine kurze Alltagsszene mit einer vielschichtigen sozialen und psychologischen Bedeutung zu versehen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.