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Das Hundegrab auf Oxia

Von

Ein Mahnruf

Ein kahles Eiland in der Meereswüste
Von Menschen unbewohnt, da nicht ein Quell
Hervorbricht aus dem starren Felsengrund,
Der Nahrung böte einem Grashalm nur,
Indes die Sonne südlich hohe Glut
Herniedersendet. So Jahrtausendlang
Stand allgemieden, trostlos, wie verfemt
Die Klippe da.
Doch heute, wer im Boot
Der Insel naht – auf einmal staunend sieht
Sein Aug‘ ein wimmelnd Leben dort am Strand,
Wo einst des Todes Schweigen nur geherrscht.
Und Grauen wird das Staunen, wenn er sieht:
Was dort sich regt, ist schauriger als Tod,
Der Wohltat wär‘ den Unglückseligen,
Verdammt zu langsamen Verschmachtens Qual,
Ein Schicksal, das dem schlimmsten Mörder nicht
Verhängt das härtste Strafgesetz.
Wer sind
Die Jammervollen? Was verbrachen sie?
Unschuld’ge sind’s, hier grausam eingepfercht
Von Menschen, die unmenschlich sind, denn gut
Und edel sei der Mensch, indessen sie
Vergaßen aller Güte, da es hier
Nur Tiere gilt, und für die Folterung
Von armen Hunden keine Rechenschaft
Zu geben ist am Tage des Gerichts!

Wohl! Überhandnahm, nicht zu dulden mehr,
Die Hundeplage, die des Sultans Stadt
Gemacht zu räudiger Streuner Tummelplatz,
Wohl durften endlich ihres Herrenrechts
Die Menschen sich bedienen, notgedrängt.
Doch dann auch, wenn es Selbsterhaltung gilt,
Geziemt Erbarmen. Der Gerechte, heißt’s
Im heil’gen Buch, erbarmt sich seines Viehs.
Und wenn auch der Prophet kein solch Gebot
Der Milde seinen Gläubigen eingeschärft,
Hat er sein Pferd und seine Katze doch
Zärtlich geliebt, und in der Notwehr wohl
Hätt‘ er den scharfen Stahl auch auf ein Tier
Gezückt, doch es dem Tode nie geweiht
Durch marterndes Verdursten, obdachlos
Dem Brand der Sonnenpfeile ausgesetzt,
Bis es die Wut befällt und brechend sich
Der Blick der schwachen Kreatur, die gern
Den Freund im Menschen sieht, verzweiflungsvoll
Zu seinem Henker hebt.
Wohl ist die Welt
Noch heut der Greuel voll, die Menschen auch
An Menschen üben. Doch ein letzter Trost
Bleibt den Verzweifelnden, wenn übergroß
Die Qual ward, mit freiwilligem Entschluß
Sie enden, was versagt ist dem Geschöpf,
Das ach, vernunftlos, doch nicht seelenlos
Sich knechtisch beugen muß dem blinden Recht
Des Stärkern.
Also in der Zeitung stand
Die Mär vom Hundegrab in Oxia.
Wohl niemand, will ich glauben, hätt‘ er auch
Für diesen treuen Spiel- und Leidgefährten
Des Menschen sonst kein Herz, konnt‘ ungerührt
Die Kunde lesen des Entsetzlichen,
Das hier nicht blöde Roheit einzelner,
Nein, kalte Staatsweisheit verordnet hat,
Zur Schmach dem ganzen Volk, das drein sich fügt.
Doch, die es schaudernd lasen, fühlten sie
Sich tiefer aufgeregt, als wenn sie sonst
Von einem Unglück hörten: Daß im Berg
Verschüttet wurden arme Häuer, daß
Ein Schiff mit aller Mannschaft untersank,
Die Pest vieltausend Menschen hingerafft,
Was einzig blinder Elemente Schuld?
Und keinem fiel es ein, daß täglich hier
Ein unerhörter Frevel wird verübt,
Den stumm mit anzusehn, das Herzblut ihm
Empören sollte? Wirken segensreich
In unsrer Stadt und in den Ländern rings
Vereine zu gequälter Tiere Schutz,
Und geht von keinem, keinem ein Protest
Bis hin zum goldnen Horn, da solchen Gräul
Zu dulden, dem Jahrhundert Schande macht?

Noch will ich hoffen. Doch was kommen soll,
Geschehe bald, bevor die Todesqual
Des letzten Opfers diese Christenwelt
Verklagt, die das Gebot der Liebe kennt,
Und doch so lässig übt die heil’ge Pflicht
Der Menschlichkeit!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Hundegrab auf Oxia von Paul Heyse

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Hundegrab auf Oxia“ von Paul Heyse ist ein leidenschaftlicher und anklagender Appell gegen Tierquälerei und eine eindringliche Mahnung zu mehr Mitgefühl und Menschlichkeit. Im Mittelpunkt steht die wahre Begebenheit der Insel Oxia, auf der Hunde grausam ihrem Schicksal überlassen wurden. Heyse beschreibt die karge, lebensfeindliche Insel als „Meereswüste“ – ein Ort ohne Wasser, ohne Nahrung, wo nur Hitze und Tod herrschen. Diese trostlose Szenerie bildet den Hintergrund für das Leid der Hunde, die dort ausgesetzt wurden.

Das lyrische Ich prangert die Gleichgültigkeit und Grausamkeit der Menschen an, die die Tiere ihrem Schicksal überlassen, um eine Plage in der Stadt zu beseitigen. Heyse verweist dabei auf moralische und religiöse Gebote: Der „Gerechte“ soll sich seines Viehs erbarmen, und auch der Prophet habe Tiere geliebt. Die Hunde hingegen werden hier „dem Brand der Sonnenpfeile“ preisgegeben, sterben langsam an Durst und Hitze – ein schmerzlicher Verstoß gegen jede Form von Mitgefühl und ethischer Verantwortung.

Besonders eindrucksvoll ist Heyses Vergleich zu anderen Katastrophen: Während Unfälle und Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Schiffsunglücke als tragisch, aber schicksalhaft gelten, hebt er hervor, dass es sich bei Oxia um ein bewusst herbeigeführtes Leid handelt. Diese „kalt verordnete“ Tierquälerei empfindet das lyrische Ich als noch empörender, da sie von einer ganzen Gesellschaft akzeptiert und von „Staatsweisheit“ legitimiert wird.

Heyse schließt mit einem Appell: Die Menschlichkeit, insbesondere in der christlich geprägten Welt, müsse dem Leid der Tiere aktiv entgegentreten. Das Gedicht ist damit nicht nur eine Anklage gegen die damaligen Zustände in Konstantinopel, sondern ein universeller Mahnruf für Tier- und Mitmenschlichkeit. Die leidenschaftliche Sprache und der moralische Ernst machen „Das Hundegrab auf Oxia“ zu einem Beispiel engagierter, gesellschaftskritischer Dichtung, die ethische Verantwortung in den Mittelpunkt stellt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.