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Geh aus, mein Herz

Von

Geh aus, mein Herz, und suche Freud
In dieser lieben Sommerzeit
An deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier
Und siehe, wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.

Die Bäume stehen voller Laub,
Das Erdreich decket seinen Staub
Mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
Die ziehen sich viel schöner an
Als Salomonis Seide.

Die Lerche schwingt sich in die Luft,
Das Täublein fleugt aus seiner Kluft
Und macht sich in die Wälder;
Die hochbegabte Nachtigall
Ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.

Die Glucke führt ihr Völklein aus,
Der Storch baut und bewohnt sein Haus,
Das Schwälblein speist die Jungen;
Der schnelle Hirsch, das leichte Reh
Ist froh und kommt aus seiner Höh
Ins tiefe Gras gesprungen.

Die Bächlein rauschen in dem Sand
Und malen sich in ihrem Rand
Mit schattenreichen Myrten;
Die Wiesen liegen hart dabei
Und klingen ganz von Lustgeschrei
Der Schaf und ihrer Hirten.

Die unverdroßne Bienenschar
Fleucht hin und her, sucht hie und dar
Ihr edle Honigspeise.
Des süßen Weinstocks starker Saft
Bringt täglich neue Stärk und Kraft
In seinem schwachen Reise.

Der Weizen wächset mit Gewalt,
Darüber jauchzet Jung und Alt
Und rühmt die große Güte
Des, der so überflüssig labt
Und mit so manchem Gut begabt
Das menschliche Gemüte.

Ich selbsten kann und mag nicht ruhn;
Des großen Gottes großes Tun
Erweckt mir alle Sinnen;
Ich singe mit, wenn alles singt,
Und lasse, was dem Höchsten klingt,
Aus meinem Herzen rinnen.

Ach, denk ich, bist du hier so schön
Und läßt du uns so lieblich gehn
Auf dieser armen Erden,
Was will doch wohl nach dieser Welt
Dort in dem festen Himmelszelt
Und güldnen Schlosse werden!

Welch hohe Lust, welch heller Schein
Wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muß es da wohl klingen,
Da so viel tausend Seraphim
Mit eingestimmtem Mund und Stimm
Ihr Halleluja singen!

O wär ich da, o stünd ich schon,
Ach, süßer Gott, vor deinem Thron
Und trüge meine Palmen,
So wollt ich nach der Engel Weis
Erhöhen deines Namens Preis
Mit tausend schönen Psalmen!

Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
Hier trage dieses Leibes Joch,
Auch nicht gar stille schweigen;
Mein Herze soll sich fort und fort
An diesem und an allem Ort
Zu deinem Lobe neigen.

Hilf mir und segne meinen Geist
Mit Segen, der vom Himmel fleußt,
Daß ich dir stetig blühe!
Gib, daß der Sommer deiner Gnad
In meiner Seelen früh und spat
Viel Glaubensfrücht erziehe!

Mach in mir deinem Geiste Raum,
Daß ich dir werd ein guter Baum,
Und laß mich wohl bekleiben;
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
Ich deines Gartens schöne Blum
Und Pflanze möge bleiben!

Erwähle mich zum Paradeis
Und laß mich bis zur letzten Reis
An Leib und Seele grünen;
So vill ich dir und deiner Ehr
Allein und sonsten keinem mehr
Hier und dort ewig dienen.

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Gedicht: Geh aus, mein Herz von Paul Gerhardt

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht *Geh aus, mein Herz* von Paul Gerhardt ist ein Lobgesang auf die Schönheit der Schöpfung und ein Ausdruck tief empfundener Dankbarkeit gegenüber Gott. In der für Barockdichtung typischen Verbindung von Naturbetrachtung und religiöser Erbauung beschreibt der Dichter die sommerliche Fülle der Natur als ein Spiegelbild göttlicher Gnade.

In den ersten Strophen wird die üppige, lebendige Natur geschildert: Blühende Gärten, singende Vögel, rauschende Bäche und das emsige Treiben der Tiere sind Sinnbilder für die göttliche Ordnung und Fürsorge. Gerhardt hebt hervor, dass alles Leben von Gott erfüllt ist und in einem harmonischen Lobgesang auf ihn einstimmt. Auch das lyrische Ich fühlt sich von dieser Freude angesteckt und kann nicht anders, als mitzusingen.

In der zweiten Hälfte des Gedichts wird die Naturbetrachtung zu einer religiösen Reflexion über das Jenseits. Wenn die Erde schon so schön ist, wie viel herrlicher muss erst das Paradies sein? Das lyrische Ich sehnt sich danach, vor Gottes Thron zu stehen und ihn gemeinsam mit den Engeln zu preisen. Doch zugleich erkennt es seine Aufgabe im irdischen Leben: Solange es hier weilt, soll es Gott durch Glauben und Tugend dienen.

Das Gedicht endet mit der Bitte um göttliche Führung und Segen. Die Natur dient nicht nur als Anlass zur Freude, sondern auch als Mahnung, im Glauben zu wachsen – wie ein guter Baum oder eine blühende Pflanze im „Garten Gottes“. Damit ist *Geh aus, mein Herz* nicht nur ein Naturgedicht, sondern ein tief religiöses Lied, das Naturfreude und Gotteslob untrennbar miteinander verbindet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.