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Über eine Leiche

Von

Wer jung stirbt, der stirbt wol. Wen Gott zu lieben pflegt,
der wird in seiner Blüt‘ in frischen Sand gelegt.
Der Tod hält gleiches Recht. Wer hundertjährig stirbet,
verweset ja so bald, als der, so jung verdirbet
und besser stirbt als er. Ist der schon nicht so alt,
so hat er ja auch nicht so viel und mannigfalt
verletzet seinen Gott. Diß ists, das uns das Ende
zu machen sauer pflegt, daß man nicht reine Hände
und ein Gewissen hat, daß ihm nichts ist bewust
als treue Redligkeit. Ein Junger stirbt mit Lust,
weiß nicht, was Seelenangst und Herzensstöße heißen,
die ärger als der Krebs nach frischer Seelen beißen
und töten, eh‘ der Tod uns noch die Sense beut
und auf das kranke Fleisch aus vollen Kräften häut.
Im Sterben findet sichs: wie Einer hat gelebet,
so krankt, so stirbt er auch. Ein furchtsam Herze bebet
und steht in steter Angst. Wer Gott zum Freunde weiß,
dem macht kein Schrecken kalt, kein Trübsalsfeuer heiß.
So stirbt ein junger Mensch. Was ists noch zu erzählen,
mit was wir Alten sonst uns pflegen stets zu quälen,
das uns bei Tage blaß, bei Nachte bange macht?
Ein Ieder weiß für sich, wie, wo, was er verbracht,
das jener große Tag soll an die Sonne bringen,
dafür sich mancher scheut. Vor so dergleichen Dingen
sind Kinder noch befreit. Drum, blasse Mutter, denkt,
ob euch der harte Fall auch denn so billich kränkt,
als wie ihr wol vermeint! Wem fromme Kinder sterben,
der weiß, was er der Welt und Himmel läßt zu erben:
der Erden zwar den Leib, als der sie Mutter heißt,
und als sein Vaterrecht dem Himmel seinen Geist.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Über eine Leiche von Paul Fleming

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Über eine Leiche“ von Paul Fleming reflektiert den frühen Tod aus einer religiösen Perspektive und stellt ihn als eine Art göttliche Gnade dar. Der Sprecher argumentiert, dass ein junger Mensch „wol“ stirbt, weil er weniger Gelegenheit hatte, Sünden zu begehen, und somit mit reineren Händen vor Gott tritt. Diese Sichtweise entspricht der barocken Vorstellung von Vergänglichkeit und göttlicher Vorsehung, bei der das irdische Leben als Prüfung für das Jenseits betrachtet wird.

Besonders deutlich wird der Kontrast zwischen jungen und alten Sterbenden: Während ältere Menschen oft mit Angst und Reue auf ihr Leben zurückblicken, kann ein junger Mensch ohne diese seelischen Qualen scheiden. Der Tod wird als unvermeidliche Gleichung dargestellt – unabhängig vom Alter verwesen alle gleichermaßen. Doch wer jung stirbt, bleibt von den seelischen Ängsten und Gewissensqualen verschont, die ältere Menschen oft heimsuchen. Dies spiegelt das barocke Motiv des „Memento mori“ wider, das zur inneren Reinigung und Gottesfurcht mahnt.

Am Ende richtet sich das Gedicht an trauernde Eltern, insbesondere an eine „blasse Mutter“. Sie sollen ihren Schmerz über den Verlust ihres Kindes hinterfragen, denn in der göttlichen Ordnung bedeutet der Tod eines frommen Kindes nicht nur Verlust, sondern auch eine Art Erbe: Der Leib kehrt zur Erde zurück, während die Seele in den Himmel eingeht. So wird das Leid der Hinterbliebenen in eine tröstende Perspektive gerückt. Das Gedicht verbindet somit Trost und religiöse Ermahnung und verdeutlicht die barocke Denkweise, in der der Tod als Übergang in die göttliche Ordnung und nicht als endgültiges Ende verstanden wird.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.