Die Liebesfrau
– Nackt. Ich bin es nicht gewohnt.
Du wirst so groß und so weiß,
Geliebte. Glitzernd wie der Mond,
wie der Mond im Mai.
Du bist zweibrüstig,
behaart und muskelblank,
so hüftenrüstig
und tänzerinnenschwank.
Gib dich her! Draußen fallen
die Regen. Die Fenster sind leer,
verbergen uns… – allen, allen! –
Wie viel wiegt dein Haar? Es ist sehr schwer.
– Wo sind deine Küsse? Meine Kehle ist gegallt,
küsse du mich mit deinen Lippen!
– Frierst du? – Du bist so kalt
und tot in deinen hellen Rippen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Liebesfrau“ von Paul Boldt beschreibt eine äußerst intime, aber auch kontrastreiche Szene zwischen zwei Liebenden, die auf einer beinahe surrealen Weise miteinander verbunden sind. Zu Beginn ist die Anklage des Sprechers an seine Geliebte die Nacktheit, die er als ungewöhnlich empfindet, was in der Darstellung der Geliebten als „so groß und so weiß“ – „glitzernd wie der Mond“ – ein poetisches, fast übernatürliches Bild der Frau erzeugt. Die Schönheit der Frau wird über das Mondlicht symbolisiert, was ihre strahlende Präsenz und zugleich eine gewisse Kälte andeutet.
Im zweiten Abschnitt wechselt das Bild von der Liebe zu einer körperlichen und fast schon entmenschlichten Darstellung der Frau. Ihre Körpermerkmale wie „zweibrüstig“, „behaart“ und „muskelblank“ vermitteln eine intensive Materialität und Präsenz, die sich mit den poetischen, überirdischen Bildern der ersten Zeilen messen müssen. Der Sprecher scheint in der Beschreibung eine Mischung aus Bewunderung und Entfremdung zu empfinden, da die Körperlichkeit der Frau sowohl verführerisch als auch unnahbar erscheint. Die Wendung „hüftenrüstig und tänzerinnenschwank“ betont ihre Sinnlichkeit und Beweglichkeit, doch die dargestellten Körpermerkmale wirken auch kühl und distanziert.
Die folgende Passage verstärkt den Eindruck der Isolation, als der Sprecher von „leeren Fenstern“ spricht und die Unmöglichkeit ausdrückt, sich der äußeren Welt zu entziehen. Die Geliebte wird als das Zentrum der Aufmerksamkeit dargestellt, doch gleichzeitig scheinen die beiden in einer fast hermetischen, einsamen Beziehung zu stehen. Die Frage nach dem Gewicht des Haars und das Bild der schweren Haare deuten auf eine Schwere hin, die die Liebe mit sich bringt – eine unbestimmte Schwere, die das Gedicht von der bloßen Zuneigung zur existenziellen Bedeutung der Liebe überführt.
Im abschließenden Abschnitt wird der Ton des Gedichts deutlich düsterer. Die Frage nach den Küssen und die Schilderung der Kälte und der „toten Rippen“ deuten darauf hin, dass der Sprecher von einer Entfremdung und einem Verlust der körperlichen und emotionalen Verbindung spricht. Die Frau ist in ihren „hellen Rippen“ eine gesichtslose, fast geisterhafte Erscheinung, die jegliche Lebendigkeit und Wärme verloren hat. Das Gedicht endet mit einem Gefühl der Enttäuschung und des unerfüllten Verlangens, was der gesamten Szene eine tragische Dimension verleiht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.