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Parteigeist

Von

In allen Dingen herrschen jetzt Parteien,
Der Zwietracht blutgefärbtes Banner weht
Und sucht selbst Brüderherzen zu entzweien,
Wenn einer zu der neuen Richtung steht.
Der Dunkelmänner stets geschäftig Treiben,
Spricht allem Licht, spricht aller Freiheit Hohn.
Ihr Wahlspruch heißt: Es soll beim Alten bleiben!
Dem Neurer fluchet Rom’s Religion.

Ihr Thoren ihr, die ihr den Geist verkennet,
Weil ihr verblendet am Buchstaben hängt,
Ihr Thoren, die ihr jeden Ketzer nennet,
Deß‘ heller Geist nicht wie der eure denkt.
Habt ihr es denn im blinden Wahn vergessen,
Daß Christus hat mit Jud‘ und Heid‘ verkehrt?
Sie waren ihm die Ebenbilder Dessen,
Der sie erschuf – als Brüder ihm geehrt.

Und ihr, ihr wollet dummdreist jetzt verdammen,
Was nicht wie ihr, in röm’sche Form sich fügt;
Ihr droht mit Schwefelpfuhl und Höllenflammen,
Malt einen finstern Schreckensgott – ihr lügt.
Vergebens möchtet Geister ihr beschwören,
Vergebens treibet ihr den Teufel aus,
Das Volk läßt sich nicht mehr, wie einst, bethören,
Die Leuchte der Vernunft löscht ihr nicht aus.

Die Zeit ist um, wo man an Wunder glaubte,
Die Priesterlist der Dummheit vorgemacht;
Die Zeit ist um, wo man sich selbst beraubte
Und fromme Opferspenden dargebracht.
Nicht wallt die Menschheit mehr in ganzen Scharen
Um anzubeten ein veralt‘ Gewand –
Vor solcher Einfalt woll‘ uns Gott bewahren,
Der seinen Lichtstrahl uns herabgesandt.

Mögt ihr euch gleich der Flut entgegen stemmen,
Die sich nicht mehr in Dämme bannen läßt,
Der freie Geist läßt sich nicht fürder hemmen,
Er feierte sein Auferstehungsfest.
Er ist aus seiner Modergruft erstanden,
In welcher Aberglaube fest ihn hielt,
Er machte los sich aus des Irrwahns Banden,
Und freie Forschung ward von ihm erzielt.

Er lehret laut von Kanzel und Katheder,
Nach Christi Lehr‘, daß Gott die Liebe ist!
Nach eigner Weise bete zu ihm Jeder,
Denn er hört Jeden, der sein nicht vergißt.
Ob er sich Christ, ob er sich Heide nenne,
Ob er ein Katholik, ob Protestant,
Ob er zu Mahom’s Lehre sich bekenne,
Ob er ein Jud‘ – er steht in Gottes Hand.

Und sind wir von der Wahrheit ganz durchdrungen,
Daß wir ein großes Volk von Brüdern sind,
Und halten wir uns all‘ in Lieb‘ umschlungen,
Dann stürzet ein des Irrthums Labyrinth.
Dann werden wir an innerm Glück gewinnen,
Es folget Friede nach der langen Pein –
Dann wird das tausendjähr’ge Reich beginnen
Und nur ein Hirt und eine Herde sein.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Parteigeist von Kathinka Zitz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Parteigeist“ von Kathinka Zitz ist eine leidenschaftliche Anklage gegen Engstirnigkeit, Intoleranz und den Einfluss von Dogma und Aberglauben auf die Gesellschaft. Es ist ein Plädoyer für Vernunft, Brüderlichkeit und die Freiheit des Geistes, inspiriert von den Idealen der Aufklärung.

Das Gedicht entfaltet sich in einer Reihe von Strophen, die verschiedene Aspekte der Kritik an der vorherrschenden gesellschaftlichen Ordnung beleuchten. Zuerst wird der Parteigeist und die Zwietracht angeprangert, die sogar Brüderherzen entzweien. Die Autorin kritisiert das Festhalten am Alten und die Ablehnung neuer Ideen. Darauf folgt eine direkte Anrede an diejenigen, die den Geist verkennen und am Buchstaben hängen, insbesondere die katholische Kirche, die als Hauptfeind der Vernunft gesehen wird. Zitz erinnert an die universelle Liebe Christi und die Brüderlichkeit aller Menschen.

In den weiteren Strophen werden die negativen Auswirkungen von Aberglauben und religiösem Dogma hervorgehoben. Die Autorin wendet sich gegen die Drohungen mit Hölle und Verdammnis und prangert die Priesterlist und die Unterdrückung des Volkes an. Die Zeit der Wundergläubigkeit und der Opfergaben sei vorbei, und die Vernunft habe gesiegt. Der freie Geist hat sich erhoben und die Ketten des Irrwahns gesprengt. Die Betonung liegt auf der Emanzipation des Individuums von religiösen Zwängen und der Befreiung des Geistes.

Der abschließende Teil des Gedichts ist von einer Vision der Einheit und des Friedens geprägt. Wenn die Menschen von der Wahrheit durchdrungen sind und sich in Liebe umarmen, wird das Labyrinth des Irrtums zerstört, und ein tausendjähriges Reich des Friedens beginnt. Die Autorin schließt mit einer Vision einer universalen Brüderlichkeit, in der alle Menschen – ungeachtet ihrer Religion oder Herkunft – in Gottes Hand vereint sind.

Insgesamt ist „Parteigeist“ ein kraftvolles Manifest der Aufklärung, das die Leser dazu aufruft, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen, Intoleranz zu überwinden und eine Welt zu schaffen, in der Vernunft, Freiheit und Liebe herrschen. Das Gedicht ist ein Appell für eine Gesellschaft, die von Brüderlichkeit, Toleranz und der Anerkennung der individuellen Freiheit geprägt ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.