Pantheon
1.
Sei mir gegrüßt, ehrwürdiges Haus des alten Olympus,
Götter und Menschen, umsonst such′ ich sie wieder, du bliebst!
Aber warum? Man hat dich mit Eselsohren geheiligt,
Und nach dem Sprichwort hast selbst du mit den Wölfen geheult.
2.
Welch erschrecklich Gesicht, es hat der Tiber die Wasser
Ueber die Ufer geschwellt, weit in die Stadt sie geführt.
Und der zürnende Strom ist bis zum Corso gedrungen,
An der Rotunda hinauf spielet die wachsende Fluth.
Einst, so liest man in heiliger Schrift, hat die strafende Sündfluth
Auch die große Natur rein von Bewohnern gefegt.
3.
Auf, ans Pantheon hin, untrügliche Forscher der Vorzeit,
Und das mächtige Rund seht ihr von Wasser gefüllt.
Ja, ihr habt Recht, ihr setzet ja Erd′ und Himmel in Wasser,
Und das Pantheon selbst habt ihr zum Badhaus gemacht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Pantheon“ von Wilhelm Friedrich Waiblinger ist eine kritische Reflexion über den Zustand der Gesellschaft, wobei das Pantheon als zentrales Symbol dient. Der Autor verwendet eine Kombination aus direkter Ansprache, ironischer Feststellung und allegorischer Bildsprache, um seine Kritik auszudrücken. Der erste Vers begrüßt das Pantheon und beklagt das Verschwinden von Göttern und Menschen, deutet somit auf den Verlust von Idealen und Werten hin. Die Frage „Aber warum?“ leitet eine Kritik an der Entweihung des ehrwürdigen Gebäudes und der Gesellschaft ein.
Der zweite Vers führt ein Bild der Überschwemmung ein, in dem der Tiber über die Ufer tritt und die Stadt überflutet. Diese Naturgewalt wird mit der biblischen Sintflut verglichen, was eine existenzielle Bedrohung impliziert. Die steigenden Wasser, die bis zum Corso und zur Rotunda reichen, können als Metapher für das Vordringen von Chaos und Unordnung in der Gesellschaft interpretiert werden. Der Autor spielt hier mit der Idee der Zerstörung und Reinigung, um die Notwendigkeit einer Erneuerung hervorzuheben.
Im dritten Vers wird die Ironie besonders deutlich. Die „untrüglichen Forscher der Vorzeit“ werden aufgefordert, das Pantheon in dem Wasser zu betrachten. Die Zeile „Ja, ihr habt Recht, ihr setzet ja Erd‘ und Himmel in Wasser“ verstärkt die Kritik an der vermeintlichen Weisheit der „Forscher“, die durch ihre Handlungen die Grenzen zwischen den Elementen verwischen und das Pantheon selbst zu einem Badehaus degradieren. Die Verwendung des Wassers als dominierendes Element in diesem Vers unterstreicht die Idee der Zerstörung und des Chaos, das die Gesellschaft erfasst hat.
Waiblingers Gedicht zeichnet sich durch einen subtilen Aufbau aus, der auf Ironie und Kontrast setzt. Er beginnt mit der Ehrung des Pantheon, um dann die Diskrepanz zwischen dem einstigen Ruhm und dem gegenwärtigen Zustand hervorzuheben. Das Bild der Überschwemmung verstärkt die Dystopie und führt die Leser zur Erkenntnis, dass die Gesellschaft in einem Zustand der Desintegration und des Verfalls gefangen ist. Die letzten Zeilen, in denen das Pantheon zum Badehaus gemacht wird, veranschaulichen die vollständige Entweihung des einst heiligen Ortes und der Werte, die er repräsentierte.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.