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Nis Randers

Von

Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd –
Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht man’s gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sich’s der Abgrund.

Nis Randers lugt – und ohne Hast
Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen.“

Da faßt ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein:
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich will’s, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!“

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
„Und seine Mutter?“

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muß es zerschmettern..! Nein, es blieb
ganz!..

Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des andern springt
Mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? – Ein Boot, das landwärts hält –
Sie sind es! Sie kommen! —

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt…
Still – ruft da nicht einer? – Er schreit’s durch
die Hand:

„Sagt Mutter, ’s ist Uwe!“

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Gedicht: Nis Randers von Otto Ernst

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht *„Nis Randers“* von Otto Ernst schildert in eindringlichen Bildern eine dramatische Seenotrettung. Im Mittelpunkt steht der junge Nis Randers, der trotz der tobenden Naturgewalten und gegen den Willen seiner Mutter in See sticht, um einen Schiffbrüchigen zu retten. Die ersten Strophen beschreiben die Gewalt des Sturms in kraftvollen Metaphern: Das Meer tobt, der Himmel brennt, und das Wrack droht im Abgrund zu versinken. Die Natur erscheint übermächtig und feindlich, doch Nis bleibt entschlossen.

Der zentrale Konflikt des Gedichts liegt im Widerstand der Mutter, die ihren Sohn nicht ziehen lassen will, da sie bereits ihren Mann und zwei weitere Söhne an das Meer verloren hat. Doch Nis begegnet ihrem Schmerz mit einer schlichten, aber tief bedeutungsvollen Frage: *„Und seine Mutter?“* Diese Worte zeigen seine selbstlose Pflichtauffassung – für ihn zählt nicht nur das Leid der eigenen Familie, sondern auch das der Mutter des Schiffbrüchigen. Damit wird der friesische Ehrenkodex betont, der Mut und Verantwortungsbewusstsein über persönliche Angst stellt.

Die Spannung kulminiert in der gefährlichen Rettungsfahrt, die in expressiven Bildern als Kampf gegen die entfesselte Natur beschrieben wird. Schließlich kehrt das Boot unversehrt zurück, und der dramatische Höhepunkt folgt: Der Gerettete entpuppt sich als Uwe, der lange verschollene Bruder von Nis. Diese überraschende Wendung verleiht dem Gedicht eine tiefere emotionale Ebene – das Schicksal, das der Familie Randers so viel genommen hat, gibt in diesem Moment etwas zurück. *„Nis Randers“* ist damit nicht nur ein Heldengedicht, sondern auch eine Erzählung über Hoffnung, Opferbereitschaft und die unvorhersehbare Gerechtigkeit des Lebens.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.