Zwiegespräch im Dunkel
Ich will allein sein, geh! – „Du bist beherzt.“
Wir fallen. Sage mir, wohin wir fallen?
„Aus den Verzweiflungen.“ – Aus allen?
„Aus allen. – Schmerzt es dich so sehr?“ – Es schmerzt.
„Willst du allein sein?“ – Gib mir das Geleit!
„Wie weit noch?“ – Mich benässt ein Strom –
„Gewiss. Hier führt kein Weg nach Rom.
Vorüber ist die gütige Zeit.“
Sie brach wie ein verfolgtes Reh
Ins Knie und ist zu Gott zurückgeschwommen.
„Und schmerzt es dich?“ – Es tut nicht weh.
„Es schmerzt nicht mehr: dann bist du angekommen.“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Zwiegespräch im Dunkel“ von Oskar Loerke entfaltet sich als ein Dialog zwischen zwei Stimmen, die sich in einer existenziellen Krise befinden und miteinander über Schmerz, Verlust und den Zustand des Lebens sprechen. Die erste Stimme spricht von dem Wunsch nach Alleinsein, was durch die Antwort der zweiten Stimme („Du bist beherzt“) kontrastiert wird. Der Dialog ist von einer spürbaren Schwere durchzogen, was durch den ständigen Bezug auf Schmerz und Verzweiflung verstärkt wird. Die Frage „Wohin wir fallen?“ deutet auf einen Zustand des Abgrunds hin, aus dem der Erzähler keine klare Orientierung mehr hat, was die existenzielle Verlorenheit unterstreicht. Die Antwort „Aus den Verzweiflungen“ zeigt, dass dieser Fall nicht einfach nur ein physischer, sondern vor allem ein emotionaler oder seelischer ist.
Die Frage „Schmerzt es dich so sehr?“ und die darauffolgende Antwort „Es schmerzt“ weisen auf den intensiven inneren Schmerz hin, der in diesem Gespräch vermittelt wird. Dieser Schmerz ist nicht nur ein Gefühl, sondern ein Zustand des Seins, der in den Worten und dem Dialog lebendig wird. Es entsteht der Eindruck, dass die beiden Gesprächspartner versuchen, sich einander zu verstehen, jedoch in einem Zustand der Verzweiflung gefangen sind. Die Szene ist von Dunkelheit geprägt, was symbolisch für Ungewissheit, Angst und das Fehlen von Klarheit steht.
Der zweite Teil des Gedichts beschreibt den Übergang, der als eine Reise ins Ungewisse dargestellt wird. Die Frage „Wie weit noch?“ ist eine Reflexion über den fortlaufenden Zustand der Unsicherheit, während „Mich benässt ein Strom“ auf eine Art von passiver Hingabe hinweist. Der „Strom“ könnte als Metapher für den Fluss des Lebens oder des Schicksals verstanden werden, der die Protagonisten in eine Richtung treibt, die sie nicht kontrollieren können. Die Bemerkung „Vorüber ist die gütige Zeit“ deutet darauf hin, dass eine Zeit der Ruhe und des Friedens vorbei ist, was den Abschied von einer vergangenen, besseren Realität symbolisiert.
Am Ende des Gedichts scheint die zweite Stimme eine Art Erlösung oder Akzeptanz zu finden, als sie von der „verfolgten Reh“ spricht, das „zu Gott zurückgeschwommen“ ist. Dieses Bild könnte den Übergang zum Tod oder zu einem höheren, spirituellen Zustand darstellen. Die Antwort „Es schmerzt nicht mehr: dann bist du angekommen“ deutet darauf hin, dass das Ende des Schmerzes und die Ankunft an einem Ort der Ruhe als Ziel des gesamten Dialogs angesehen wird. Der Dialog zwischen den beiden Stimmen scheint hier die Erfahrung eines Übergangs darzustellen – von einem Zustand der Verzweiflung zu einem Zustand der Akzeptanz und des Friedens, was die endgültige Befreiung von Schmerz und Leid symbolisiert.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.