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Vom Frieden der Erde

Von

Nicht suchten wir, drum fanden wir viel Frieden:
Von Schiefer und Granit nicht weit verschieden.

Die Felsen stehn zwar nackt und ohne Schuhe
Im Guss, im Blitz wie stiller Toten Truhe.

Zwar sind die Gletscher duldsam hingebreitet
Dem Spuk, der über Eis und Spalten reitet,

Dieweil wir warm und rasch vermummt ertragen,
Dass Höhenhagel auf uns niederschlugen.

Doch sind wir nach dem Anfang hingewendet
Und nicht, wie meist, dahin, wo alles endet.

Wohl wissen wir: einander zu vernichten
Heißt unsresgleichen, ihr Geschäft verrichten.

Und müssen wir – wie bald – zu ihnen kehren,
Ach, wollen wir den Traum uns nicht verwehren:

Der Menschheit Geier sind davongeflogen
Durch heilig siebenfarbne Regenbogen.

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Gedicht: Vom Frieden der Erde von Oskar Loerke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Vom Frieden der Erde“ von Oskar Loerke reflektiert in knapper, bildhafter Sprache die Erfahrung eines friedlichen Moments inmitten einer rauen, oft lebensfeindlichen Natur. Dabei kontrastiert es die äußeren Gefahren der Hochgebirgswelt mit einer inneren Wendung hin zum Ursprung, zum Wesentlichen, und formuliert eine stille, fast utopische Hoffnung auf Frieden – nicht nur im individuellen, sondern auch im kollektiven menschlichen Sinn.

Bereits die erste Zeile deutet auf das zentrale Thema: Der Friede wurde nicht gesucht, und gerade deshalb gefunden. Er erscheint wie ein Geschenk, das sich im Abstand zu den harten, unbelebten Elementen – „Schiefer und Granit“ – manifestiert. Die Natur wird in ihrer Kargheit und Gefahr nicht romantisiert, sondern sachlich dargestellt: Felsen stehen nackt im Sturm, Gletscher breiten sich gleichmütig unter dem Spuk des Wetters aus. Dennoch ist das lyrische Ich nicht verzagt – der Mensch erträgt diese Widrigkeiten „warm und rasch vermummt“, mit Anpassung und Haltung.

Bemerkenswert ist die innere Ausrichtung des lyrischen Ichs und seines Gegenübers: Sie sind „nach dem Anfang hingewendet“, also auf den Ursprung, nicht auf das Ende. In einer Welt, die von Zerstörung geprägt ist – „einander zu vernichten“ sei ein übliches „Geschäft“ unter Menschen –, ist diese Haltung ein Gegenentwurf. Sie bedeutet nicht Flucht, sondern eine bewusste Kehrtwende zum Wesentlichen, zu einer anderen, tiefer empfundenen Ordnung.

Der Schluss des Gedichts schlägt einen fast visionären Ton an. Der Gedanke an den Tod – „müssen wir […] zu ihnen kehren“ – wird nicht verdrängt, aber ihm wird eine hoffnungsvolle Perspektive entgegengestellt. Die „Geier der Menschheit“, Symbol für Krieg, Gier und Gewalt, seien durch einen „heilig siebenfarbnen Regenbogen“ davongeflogen. Der Regenbogen steht hier für Versöhnung und Transzendenz, und seine „heilige“ Färbung verleiht dem Bild religiöse Tiefe. Es ist eine Vision vom Frieden, die nicht weltfremd, sondern tief menschlich ist – getragen von dem Wunsch, sich trotz der Härte des Daseins einen inneren Traum vom Guten zu bewahren.

„Vom Frieden der Erde“ ist somit ein leises, aber kraftvolles Gedicht, das inmitten der Härte der Welt die Möglichkeit eines echten Friedens aufscheinen lässt – nicht durch Verdrängung, sondern durch Hinwendung zum Ursprung und durch das Erkennen einer höheren Ordnung jenseits der Zerstörung.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.