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Pompejanischer Abend

Von

Singt es? Wilde Bienen suchen
In der Mauer ihren Spalt.
„Roten Bergwein, weißen Kuchen –
Weihe sie, der Gott ist alt.“

Schwärmend bin ich eingeschlossen.
Und ich folge dem Gebot.
Welt und Jahr wächst, nachgenossen:
Roter Bergwein, weißes Brot.

Stirn und Haar kühlt Mondenfrische
Zwischen Säulen ohne Dach.
An des Griechen Marmortische
Wird des Meißels Bildwerk wach.

Weiße Ziegenböcke traben,
Rosen fesseln Bock zu Bock;
Über ihnen fliegen Knaben
Mit der Geißel, mit dem Stock.

Stummes junges Ingesinde
Schleppt und wirft ins leere Haus
Schläuche Weines, Fruchtgebinde,
Mandelzweig, Mimosenstrauß.

Wie von innerm Licht beschienen,
Das Geruch und Garten glaubt,
Schweben aus der Wand die Bienen
Musizierend mir ums Haupt.

Ach, sie ruhn im Mauerloche:
Sterne schweben um das Mahl;
Süßer trägt am Himmelsjoche
Als am Balkendach der Saal.

Singt es nicht? „Wer kann, ermesse
Unser aller großen Herrn!
Feuer wühlt des Berges Esse,
Feuer wühlt im Traubenkern.“ –

Boten wird ein Gott beordern,
Seine Söhne, kinderklein,
Und sie grüßen und sie fordern
Meiner Augen Traumtag ein.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Pompejanischer Abend von Oskar Loerke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Pompejanischer Abend“ von Oskar Loerke entfaltet eine geheimnisvolle Szenerie, in der Natur, Kunst und Mythos auf poetische Weise miteinander verschmelzen. Der Text evoziert ein Bild der antiken Welt, wie es sich vielleicht in den Ruinen Pompejis darstellen könnte – durchdrungen von Sinneseindrücken, Erinnerungen und einem Gefühl zeitloser Gegenwart.

Die ersten Strophen setzen unmittelbar eine dichte Atmosphäre: Wilde Bienen suchen in Mauerspalten nach einem Platz, während eine Stimme – fast wie ein rituelles Gebot – zur Weihe von Wein und Brot auffordert. Diese Worte wirken wie ein uraltes Echo, das das lyrische Ich zur Teilnahme an einem kultischen Akt bewegt. Der „rote Bergwein“ und das „weiße Brot“ sind nicht nur reale Genüsse, sondern tragen auch symbolische Bedeutung – als Zeichen von Opfer, Fruchtbarkeit und ewiger Wiederkehr.

Der Ort ist verwunschen: Mondlicht kühlt Stirn und Haar, es gibt keine Dächer mehr, aber die alten Marmortische und Meißelarbeiten der Griechen „werden wach“. Hier wird das Motiv des Wiedererwachens der Antike sichtbar – Kunstwerke und Götterfiguren scheinen für einen Moment zu leben. Fantastische Bilder wie fliegende Knaben mit Geißeln, die Ziegenböcke antreiben, lassen dionysische Riten aufleben und verbinden sich mit einer traumartigen Realität, in der Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen.

Loerke schafft eine beinahe synästhetische Welt: Düfte, Farben, Klänge und Bilder gehen ineinander über. Die Bienen, die aus der Wand „musizierend“ schweben, wirken wie Verkörperungen dieses geheimnisvollen inneren Lichts, das alles belebt. In dieser Stimmung wird der verfallene Saal zum Ort des Göttlichen, transzendiert das Irdische und scheint näher am Himmel als jedes erhaltene Dach. Es ist eine Feier der Schönheit, die im Verfall weiterlebt.

Im letzten Teil kehrt die Frage zurück: „Singt es nicht?“ – eine Unsicherheit darüber, ob die erlebte Welt tatsächlich real oder nur eine Vision ist. Die Antwort ist vielschichtig: Der Gott, „unser aller großer Herr“, wirkt durch die Natur – durch das Feuer im Berg wie im Traubenkern. Diese Verbindung von Naturgewalt und innerer Glut betont das Mythische und Ewige im Alltäglichen. Am Ende kündigt sich der Gott durch „Boten“ an – kleine, kindliche Gestalten, die nicht zerstören, sondern fordern: den „Traumtag“ der Seele, das poetisch erfüllte Sehen. So wird das Gedicht zu einer mystischen Feier der Wahrnehmung und der tiefen Verbindung zwischen Mensch, Natur und Götterwelt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.