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Geschichte der Poesie

Von

Wie die Erde voller Schönheit blühte,
Sanftumschleiert von dem Rosenglanz
Ihrer Jugend und noch bräutlich glühte
Aus der Weihumarmung, die den Kranz
Ihrer unenthüllten Kindheit raubte,
Jeder Wintersturm die Holde mied,
O! da säuselte durch die belaubte
Myrte Zephir sanft das erste Lied.

Eva lauschte im Gebüsch daneben
Und empfand mit Jugendphantasie
Dieser Töne jugendliches Leben
Und die neugeborne Harmonie,
Süßen Trieb empfand auch Philomele
Leise nachzubilden diesen Klang;
Mühelos entströmet ihrer Kehle
Sanft der göttliche Gesang.

Himmlische Begeistrung floss hernieder
In der Huldin reingestimmte Brust,
Und ihr Mund ergoss in Freudenlieder
Und in Dankgesängen ihre Lust,
Tiere, Vögel, selbst die Palmenäste
Neigten staunender zu ihr sich hin,
Alles schwieg, es buhlten nur die Weste
Froh um ihre Schülerin.

Göttin Dichtkunst kam in Rosenblüte
Hoher Jugend eingehüllt herab
Aus dem Äther, schön wie Aphrodite,
Da ihr Ozean das Dasein gab.
Goldne Wölkchen trugen sie hernieder,
Sie umfloss der reinste Balsamduft,
Kleine Genien ertönten Lieder
In der tränenlosen Luft.

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Gedicht: Geschichte der Poesie von Novalis

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Geschichte der Poesie“ von Novalis ist eine poetische Allegorie, die die Entstehung und das Wesen der Poesie in einer mythischen, fast paradiesischen Darstellung beschreibt. Zu Beginn des Gedichts wird die Erde als ein Ort voller Schönheit und Jugend beschrieben, die „noch bräutlich glühte“ – ein Bild für die Unschuld und das verheißungsvolle Potenzial der Welt. Diese jugendliche Welt wird von der „Weihumarmung“ der Kindheit und Jugend bewahrt, die sie vor den harten Einflüssen der Welt schützt. Der Frühling, symbolisiert durch den Zephir (den Westwind), bringt das erste Lied der Poesie, das durch die sanfte Umarmung der Natur und den Lebensdrang dieser Phase entsteht.

In der zweiten Strophe hören wir von Eva, die in der Nähe lauscht und die „jugendliche Leben“ und die „neugeborene Harmonie“ des ersten Gesangs empfindet. Ihre Wahrnehmung der Natur und der Musik ist voller jugendlicher Fantasie, die von einer tiefen Verbundenheit mit der Welt und einer frühen Erkenntnis von Schönheit und Musik geprägt ist. Die „neugeborene Harmonie“ verweist auf die Entstehung von Kunst und Poesie, die aus einem reinen und intuitiven Erleben der Welt hervorgeht. Philomele, die Nachtigall, symbolisiert den ersten musikalischen Ausdruck, der mühelos und göttlich aus ihrer Kehle entströmt, was für die spontane und unbefangene Kreativität der Poesie steht.

In der dritten Strophe wird die Poesie als eine himmlische Begeisterung dargestellt, die herniederfließt und die Menschen erfüllt. Der „Mund“ der Huldin (der Anbeterin) ergießt sich in Freudenlieder und Dankgesänge, was auf die erhabene Wirkung der Poesie hinweist, die das Innere des Menschen in einem Zustand der Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck bringt. In dieser Atmosphäre der Harmonie und Verehrung neigen sich selbst die Tiere, Vögel und Palmenäste ehrfürchtig zur Dichterin, was den universellen Einfluss der Poesie und ihre Fähigkeit, alle Wesen zu berühren, symbolisiert. Der „Weste“ (der Wind) buhlt um die Schülerin der Poesie, was auf die inspirierende Kraft der Kunst und ihre Verbindung zur Natur hinweist.

Die letzte Strophe führt die Dichterin, die „Göttin Dichtkunst“, ein, die aus der „Rosenblüte“ der Jugend in den Äther herabsteigt. Sie erscheint in einer reineren und schöneren Form, wie Aphrodite, die Göttin der Liebe und Schönheit, und symbolisiert den Höhepunkt der Poesie und die schöpferische Kraft, die mit der Jugend und Reinheit des Geistes verbunden ist. Die goldenen Wölkchen und der „reinste Balsamduft“ verstärken die mystische und unberührte Natur der Dichtkunst. Die „kleinen Genien“ und die Lieder, die in der „tränenlosen Luft“ erklingen, verstärken die Idee, dass Poesie und Kunst von einer höheren, fast göttlichen Quelle inspiriert werden und eine Verbindung zwischen Himmel und Erde herstellen.

Novalis beschreibt in diesem Gedicht die Geburt der Poesie als ein heiliges und schöpferisches Ereignis, das aus einer harmonischen Verbindung zwischen Mensch, Natur und der göttlichen Inspiration entsteht. Die Darstellung der Poesie als eine göttliche und jugendliche Kraft hebt ihre Unschuld, Reinheit und transformative Wirkung hervor. Es ist eine Feier des kreativen Schaffens, das aus einer tiefen Einheit mit der Welt und einer höheren Wahrnehmung der Wirklichkeit erwächst.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.