Mein Türkenkopf
Mein Pfeifchen traut, mir ist dein Rauch,
Voll duftender Narkose,
Noch lieber als der süße Hauch
Der aufgeblühten Rose.
Und hält die Rose Streit mit dir,
Von beiden schöner welche?
Bist du die schönre Rose mir
Mit deinem Glutenkelche.
Denn wie die Rose duftend blüht
Im Grün der Frühlingsbäume,
Also mein Pfeifchen duftend glüht
Zum Frühling meiner Träume.
Weckt mir der Rose Freudenstrahl
Ein schmerzlich Angedenken,
Hilfst du zu kurzer Rast einmal,
Was ich verlor, – versenken.
Und wenn dein blauer Wolkenzug
Die Stirne mir umsponnen,
Umkreist mich gern der rasche Flug
Von dichterischen Wonnen.
Wenn dann die Qual versank in Ruh,
So dünket mich, mir wehte
Ein heilend Lüftchen Nebel zu
Vom stillen Tal des Lethe.
Drum, Pfeifchen traut, ist mir dein Rauch,
Voll duftender Narkose,
Noch lieber als der süße Hauch
Der aufgeblühten Rose!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Mein Türkenkopf“ von Nikolaus Lenau ist eine poetische Liebeserklärung an die Pfeife – genauer gesagt an den „Türkenkopf“, ein typischer Pfeifenkopf seiner Zeit –, die dem lyrischen Ich als Quelle von Trost, Vergessen und dichterischer Inspiration dient. In traditioneller, liedhafter Form mit regelmäßiger Strophenstruktur vergleicht Lenau den Rauch seiner Pfeife immer wieder mit der Rose, einem klassischen Symbol der Schönheit und Liebe, und erklärt ihn am Ende gar für überlegen.
Der Tabakrauch wird hier als „voll duftender Narkose“ beschrieben – eine Form der betäubenden Sinnlichkeit, die dem lyrischen Ich Erleichterung von innerem Schmerz verschafft. Während die Rose durch ihren Duft zwar Erinnerungen und Freuden weckt, ist es der Rauch der Pfeife, der Vergessen spendet. Der Begriff „Narkose“ hat dabei nicht nur eine körperliche, sondern auch eine psychische Dimension: Die Pfeife hilft, seelische Leiden zu lindern.
Die Gleichsetzung von Pfeife und Rose zieht sich durch das ganze Gedicht, wobei die Pfeife durch ihre „Glutenkelche“ und ihr „duftend Glühen“ selbst zur blühenden Pflanze, zur Ersatzrose wird – nur dass ihr Effekt tiefer greift: Während die Rose Erinnerungen weckt, kann der Pfeifenrauch das Erinnerte versenken. Diese Gegenüberstellung von Erinnern und Vergessen, von bittersüßer Schönheit und heilender Betäubung, verleiht dem Gedicht seine melancholische Spannung.
Besonders auffällig ist die dichterische Funktion der Pfeife: Im Rauch, der sich um die Stirn legt, steigen „dichterische Wonnen“ auf – der Rauch wird zur Inspirationsquelle. Wenn die „Qual versank in Ruh“, dann erscheint sogar ein „Lüftchen Nebel“ vom „stillen Tal des Lethe“. Lethe, der Fluss des Vergessens aus der griechischen Mythologie, wird zum poetischen Ziel: Das Vergessen des Schmerzes ist nicht nur ein Wunsch, sondern auch eine Bedingung schöpferischer Ruhe und Frieden.
Insgesamt ist „Mein Türkenkopf“ ein Beispiel romantischer bis spätromantischer Lyrik, in der der Rückzug ins Persönliche, das Erleben des Schmerzes und der Wunsch nach Linderung durch Kunst, Traum oder – wie hier – Rauch eine zentrale Rolle spielen. Das Pfeifchen wird zur vertrauten Gefährtin, zur persönlichen Muse, die Trost spendet in einer von Verlusten und Erinnerungen geprägten Welt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.