Neapel
Vom Golf Neapels bis zur Nordsee klaffen
Die Länder auf in Haß – hie Ghibellinen,
Hie Welfen, hie Verwüstung und Ruinen!
Hie Flammen, Sturmlauf, Rosse, Banner, Waffen!
Canossa läßt die Rache nicht erschlaffen,
Vom Gotthard führt mit seinen Paladinen
Der Rotbart die gewaffneten Lawinen –
Wer wird der Welt Alleingewalt erraffen?
Nicht Friedrichs hohe Kraft und nicht sein zweiter
Nachkomme sieht den Sieg; die Feinde taufen
Mit neuer Glut stets neu erglühte Streiter.
Kann deinen Frieden, Erde, nichts erkaufen,
Als rollend unter blutbespritzte Scheiter
Das blonde Haupt des letzten Hohenstaufen?
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Neapel“ von Hermann Lingg zeichnet ein düsteres Bild der Zerrissenheit und des unaufhörlichen Konflikts in Europa, insbesondere im Kontext der historischen Auseinandersetzungen zwischen Ghibellinen und Welfen im Mittelalter. Es beginnt mit einer weiträumigen Gegenüberstellung von Neapel bis zur Nordsee, um die globale Ausdehnung der Feindseligkeiten zu verdeutlichen. Der Dichter beschreibt eine Welt, die von Hass, Verwüstung und Krieg geprägt ist, mit Bildern von Flammen, Sturmläufen, Waffen und Bannern, um die Intensität und den Schrecken der Konflikte zu unterstreichen. Diese einleitenden Zeilen setzen den Ton für eine Auseinandersetzung mit den politischen und militärischen Kämpfen, die Europa im Mittelalter und darüber hinaus prägten.
Die zweite Strophe vertieft die thematische Auseinandersetzung und bezieht sich auf historische Ereignisse und Personen, die für die damaligen Auseinandersetzungen zentral waren. Es werden Bezugnahmen auf historische Ereignisse und Figuren wie Canossa, den Gotthard-Pass und Kaiser Friedrich Barbarossa (Rotbart) gemacht, um die Komplexität und Kontinuität der Kämpfe zu veranschaulichen. Lingg fragt nach demjenigen, der die „Alleingewalt“ über die Welt erringen wird, was die Frage nach dem ultimativen Sieger und der Möglichkeit einer politischen Einigung aufwirft, die zu dieser Zeit fern war. Die Erwähnung Friedrichs des Großen und seiner Nachkommen deutet darauf hin, dass die Hoffnung auf einen endgültigen Frieden vergebens war, da selbst die mächtigsten Herrscher nicht in der Lage waren, die Konflikte zu beenden.
Die letzte Strophe bringt eine tiefe Melancholie und ein Gefühl der Verzweiflung zum Ausdruck. Die Hoffnungslosigkeit und die Vergeblichkeit des Krieges werden betont, da die Feinde immer wieder neue Kämpfer rekrutieren und die Flammen der Auseinandersetzung immer wieder neu entfachen. Die rhetorische Frage am Ende des Gedichts, ob nur durch das Opfer des „blonden Haupts des letzten Hohenstaufen“ Frieden erreicht werden kann, deutet auf das brutale und tragische Ausmaß der Gewalt hin. Das Gedicht endet mit einer beklemmenden Erkenntnis, dass der Frieden möglicherweise nur durch Blutvergießen erreicht werden kann.
Linggs Gedicht ist eine Reflexion über die Grausamkeit und Sinnlosigkeit von Krieg und Gewalt. Es zeichnet das Bild einer Welt, die von unaufhörlichen Konflikten heimgesucht wird, und stellt die Frage nach der Möglichkeit von Frieden und Einheit. Die historische Verankerung, die tiefgründigen Bilder und die melancholische Grundstimmung machen „Neapel“ zu einem eindringlichen Kommentar zur menschlichen Geschichte und zur anhaltenden Herausforderung, Frieden und Versöhnung zu erreichen. Es ist eine Mahnung an die zerstörerische Natur des Hasses und die Notwendigkeit, nach Verständigung und Eintracht zu streben.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.