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Nachklänge (2)

Von

1

O Herbst, in linden Tagen
Wie hast du rings dein Reich
Phantastisch aufgeschlagen,
So bunt und doch so bleich!

Wie öde, ohne Brüder,
Mein Tal so weit und breit,
Ich kenne dich kaum wieder
In dieser Einsamkeit.

So wunderbare Weise
Singt nun dein bleicher Mund,
Es ist, als öffnet′ leise
Sich unter mir der Grund.

Und ich ruht überwoben,
Du sängest immerzu,
Die Linde schüttelt′ oben
Ihr Laub und deckt′ mich zu.

2

An meinen Bruder

Gedenkst du noch des Gartens
Und Schlosses überm Wald,
Des träumenden Erwartens:
Obs denn nicht Frühling bald?

Der Spielmann war gekommen,
Der jeden Lenz singt aus,
Er hat uns mitgenommen
Ins blühnde Land hinaus.

Wie sind wir doch im Wandern
Seitdem so weit zerstreut!
Fragt einer nach dem andern,
Doch niemand gibt Bescheid.

Nun steht das Schloß versunken
Im Abendrote tief,
Als ob dort traumestrunken
Der alte Spielmann schlief.

Gestorben sind die Lieben,
Das ist schon lange her,
Die wen′gen, die geblieben,
Sie kennen uns nicht mehr.

Und fremde Leute gehen
Im Garten vor dem Haus –
Doch übern Garten sehen
Nach uns die Wipfel aus.

Doch rauscht der Wald im Grunde
Fort durch die Einsamkeit
Und gibt noch immer Kunde
Von unsrer Jugendzeit.

Bald mächtger und bald leise
In jeder guten Stund
Geht diese Waldesweise
Mir durch der Seele Grund.

Und stamml ich auch nur bange,
Ich sing es, weil ich muß,
Du hörst doch in dem Klange
Den alten Heimatsgruß.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Nachklänge (2) von Joseph von Eichendorff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Nachklänge (2)“ von Joseph von Eichendorff entfaltet in zwei Teilen eine melancholische Reflexion über die Vergänglichkeit der Zeit, die Einsamkeit und die Sehnsucht nach der verlorenen Jugend. Der erste Teil beschreibt eine herbstliche Natur, die gleichzeitig bunt und bleich wirkt. Der Dichter nimmt die Atmosphäre des Herbstes auf und spiegelt darin seine eigene Gefühlswelt wider, die von Einsamkeit und einem Gefühl des Abgrunds geprägt ist. Die Natur wird als lebendiges Wesen dargestellt, das durch das Singen des Windes und das Fallen der Blätter eine tröstende Rolle einnimmt, indem sie den Dichter gleichsam zudeckt und ihm Schutz gewährt.

Der zweite Teil des Gedichts wendet sich an einen Bruder, wodurch die persönliche Ebene verstärkt wird. Es entspinnt sich eine Erinnerung an gemeinsame Jugendtage, an einen Garten, ein Schloss und einen Spielmann, der mit seinen Liedern den Frühling ankündigte und die beiden Brüder in eine blühende Welt entführte. Die Erinnerung an die vergangene Zeit ist untrennbar mit dem Gefühl des Verlustes verbunden, da die Brüder nun weit voneinander entfernt sind und die Welt um sie herum sich verändert hat. Das Schloss, Symbol der Kindheit, ist versunken, die Lieben sind gestorben oder haben sie vergessen. Die Gegenwart wird durch fremde Menschen im Garten repräsentiert, während die Bäume, als stumme Zeugen, nach den Brüdern Ausschau halten.

Die tiefe Melancholie des Gedichts wird durch das Motiv des Wanderns und der Zerstreuung verstärkt. Die Brüder sind getrennt, die Welt hat sich verändert, und die Erinnerungen an die Jugend sind von Verlust und Vergänglichkeit überschattet. Das Gedicht spiegelt die für die Romantik typische Sehnsucht nach der Vergangenheit wider, nach einer Zeit der Harmonie und des Einklangs mit der Natur, die nun unwiederbringlich verloren scheint. Die Natur spielt dabei eine wichtige Rolle, indem sie einerseits die Vergänglichkeit und den Zerfall symbolisiert, andererseits aber auch Trost und Erinnerung spendet.

Der letzte Abschnitt des zweiten Teils mündet in einem Bekenntnis, in dem der Dichter trotz der Trauer und des Verlustes seine Verbundenheit mit der Vergangenheit zum Ausdruck bringt. Er singt die Lieder der Kindheit, auch wenn es ihm schwerfällt, weil er sie als Teil seiner Identität versteht. Die „Waldesweise“, die er vernimmt, wird zur „Heimatsgruß“, der ihn mit seinem Bruder und der verlorenen Welt verbindet. Somit ist das Gedicht ein berührender Ausdruck von Nostalgie, Verlust und der Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Welt noch in ihren ursprünglichen Farben strahlte. Es ist ein stilles Resümee des Lebens, in dem der Dichter seine Erinnerungen bewahrt und die Verbindung zur Vergangenheit trotz aller Widrigkeiten aufrechterhält.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.