Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , ,

Michelangelo

Von

Einst malet Angelo, das Wunder seiner Zeiten,
Das Weltgericht, des Himmels off´ne Freuden
Und auch der Hölle off´ne Qual,
Und die Hölle setzt er nebst Prälaten
Und vielen bischöflichen Gnaden
Auch einen großen Kardinal.
Und ungelobt und unbezahlt
Ist das Porträt daran so trefflich ausgemalt,
Daß jeder, der ihn sah und kannte,
Ihn glich bei seinem Namen nannte.
Der Kardinal erfährts. O wüßt´er´s niemals nicht!
Wie wird´s dem armen Künstler gehen?
Der Kardinal will das Gemälde sehen.
Er kommt und sieht und spricht:
„Wie sehr bewund´re ich die wahre Meisterhand!
Da mich doch Angelo von weitem nur gekannt.
Wie groß ist nicht des Künstlers Gabe,
Er trifft mich, da ich ihm doch nie gesessen habe.“
Bewundernd sieht er es noch einmal :
Dankt ihm und geht. Der große Mann!

O welche Fabel aus der goldnen Zeit,
Ein Priester ist beleidigt und verzeiht.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Michelangelo von Johann Heinrich Merck

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Michelangelo“ von Johann Heinrich Merck ist eine humorvolle Anekdote über die Kunst und die Eitelkeit eines Kardinals, die in einer knappen, pointierten Form präsentiert wird. Die Geschichte dreht sich um Michelangelo, der in seinem Gemälde des Jüngsten Gerichts einen Kardinal in der Hölle porträtiert. Die daraufhin folgende Reaktion des Kardinals bildet den Kern des Gedichts.

Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung des Gemäldes, das sowohl himmlische Freuden als auch höllische Qualen darstellt. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Darstellung des Kardinals in der Hölle. Diese Wahl deutet bereits auf eine satirische Absicht des Dichters hin. Die detaillierte Beschreibung des Porträts und die Tatsache, dass der Kardinal von jedem erkannt wird, der ihn kannte, unterstreicht die Schärfe der Kritik. Der Dichter spielt hier mit der Macht der Kunst und der potenziellen Konsequenzen, die sie für den Künstler haben kann.

Der Clou des Gedichts liegt in der Reaktion des Kardinals. Anstatt sich zu empören oder den Künstler zu bestrafen, lobt er Michelangelos „wahre Meisterhand“ und bewundert die Fähigkeit des Künstlers, ihn so treffend darzustellen, obwohl er ihm nie Modell gestanden hat. Dieser scheinbar selbstlose Akt der Bewunderung ist jedoch von einer gehörigen Portion Eitelkeit geprägt. Der Kardinal ist mehr von seinem eigenen Ansehen und der Fähigkeit, die Situation zu seinen Gunsten zu wenden, beeindruckt als von der Beleidigung selbst.

Merck schließt das Gedicht mit der Bemerkung „O welche Fabel aus der goldnen Zeit, / Ein Priester ist beleidigt und verzeiht.“. Diese Zeilen unterstreichen die Ironie und den satirischen Charakter des Gedichts. Die vermeintliche Großzügigkeit des Kardinals wird als eine List entlarvt, die seine eigene Eitelkeit und seinen Machtanspruch widerspiegelt. Das Gedicht ist somit eine subtile Kritik an der Kirche und ihren Vertretern, verpackt in eine humorvolle Anekdote über Kunst, Eitelkeit und Macht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.