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Memento vivere

Von

Ich ritt einmal im Dunkeln
Spät durch ein enges Tal;
Die Nacht war still und traurig,
Ich still und traurig zumal.

Ich dachte der wenigen Freunde,
Die ich auf Erden fand,
Ich dachte derer vor allen,
Die schon bedeckt der Sand.

Da scholl′s, wie Geisterstimme,
Vom düstern Berg herab:
Mensch, freu′ dich heut des Lebens,
Denn morgen geht′s ins Grab.

War es ein Hirtenknabe,
Der jene Worte sang –
Ich weiß es nicht, sie gingen
Mir durch die Seele bang.

Einst hatt′ ich sie vernommen
Aus eines Bruders Mund,
Da trank er meine Gesundheit,
Jetzt lag er im kühlen Grund.

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Gedicht: Memento vivere von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Memento vivere“ von Friedrich Hebbel ist eine melancholische Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens und die Mahnung, jeden Tag zu schätzen. Es beginnt mit einer düsteren Szenerie: Der einsame Reiter, der sich in der Stille der Nacht durch ein enges Tal bewegt, dessen Stimmung mit der Traurigkeit des lyrischen Ichs korrespondiert. Die Betonung der Einsamkeit und Traurigkeit schafft eine Atmosphäre der Schwermut und Vorbereitung auf die zentrale Botschaft des Gedichts. Die Erinnerung an verstorbene Freunde verstärkt das Gefühl des Verlustes und der Endlichkeit, wodurch die folgende Warnung umso eindringlicher wirkt.

Die entscheidende Wendung erfolgt, als eine geisterhafte Stimme, eventuell von einem Hirtenknaben, vom Berg herab erschallt und den Reiter auffordert, sich des Lebens zu freuen, da der Tod unweigerlich folgt. Dieser Appell, „Mensch, freu′ dich heut des Lebens, / Denn morgen geht′s ins Grab“, ist der Kern des Gedichts. Die Einfachheit der Worte steht im Kontrast zur tiefgründigen Botschaft, die sowohl eine Erinnerung an die Sterblichkeit als auch eine Ermahnung zum Leben im Hier und Jetzt darstellt. Die ungewisse Quelle der Stimme – war es ein Hirtenknabe? – verleiht der Botschaft eine mystische Qualität, die das lyrische Ich tief berührt.

Die letzte Strophe schlägt eine Brücke zur persönlichen Erfahrung des lyrischen Ichs, indem sie die Worte „Mensch, freu dich heut des Lebens“ mit einer Erinnerung an einen verstorbenen Bruder verknüpft. Einst wurde die Gesundheit des lyrischen Ichs vom Bruder gefeiert, nun liegt dieser im Grab. Diese unmittelbare Erfahrung des Todes verstärkt die Dringlichkeit der Botschaft und macht sie noch persönlicher und eindrücklicher. Die Wiederholung des Mottos und die Verbindung zur eigenen Vergangenheit verleihen dem Gedicht eine besondere Tiefe und Relevanz.

Hebbel verwendet eine einfache, fast volksliedhafte Sprache, um die komplexen Themen wie Sterblichkeit, Verlust und Lebensfreude zu behandeln. Die Struktur des Gedichts mit seinen kurzen, prägnanten Versen und dem gleichmäßigen Reimschema unterstützt die Klarheit und Direktheit der Botschaft. Durch die Kombination von persönlicher Erfahrung und universeller Erkenntnis gelingt es Hebbel, ein eindringliches und bewegendes Gedicht zu schaffen, das den Leser zum Nachdenken über die eigene Existenz anregt. Die Botschaft, das Leben zu genießen, ist umso wertvoller, da sie von der Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit getragen wird.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.