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Der Vogel

Von

Der Vogel singt. Vielleicht, dass ihm indessen
Ein zweiter Antwort weiß auf nahem Baum.
Und wird ihm keine, schluchzt er selbstvergessen
Und voller durch den abendlichen Raum,
Der sich in Andacht lauschend und gestillt
Um diese Stimme legt, jetzt, da die Seele
Der Welt und alle Schönheit überquillt
Und tönend wird in dieser kleinen Kehle.
Die Wiese duftet auf; die Farben treten
Hervor wie redend und der Luftkreis schwingt.
Die Tiere staunen und die Wälder beten.
Er aber weiß es nicht und singt und singt.

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Gedicht: Der Vogel von Max Kommerell

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Vogel“ von Max Kommerell beschreibt einen Moment der reinsten Naturverbundenheit und des künstlerischen Ausdrucks, wobei der Vogel als Symbol für das kreative, unbewusste Streben nach Schönheit und Ausdruck dient. Die erste Strophe stellt den Vogel dar, der singt, wobei der mögliche Dialog mit einem anderen Vogel, der ihm „Antwort weiß“, in Frage gestellt wird. Doch wenn keine Antwort kommt, reagiert der Vogel auf seine Weise, indem er „schluchzt“ – ein Ausdruck von tiefer, fast sehnsüchtiger Empfindung. Der Vogel wird in seiner Einsamkeit als ein Wesen dargestellt, das den Raum um sich herum mit seiner Stimme erfüllt, während „der abendliche Raum“ in „Andacht“ und „gestillt“ auf den Gesang lauscht. Diese Beschreibung setzt den Gesang des Vogels in einen fast zeremoniellen Kontext und gibt ihm eine spirituelle Dimension.

In der zweiten Strophe wird der Moment vertieft, da die „Seele der Welt“ in den Gesang des Vogels übergeht. Die Welt, in ihrer ganzen Schönheit, scheint sich in dem Gesang zu vereinen, und alles um den Vogel herum – die Wiese, die Farben und die Tiere – reagiert auf den Klang. Die „Wiese duftet auf“ und die „Farben treten hervor wie redend“ – dies sind Bilder für eine Welt, die sich durch den Gesang des Vogels zu einer lebendigen, sprechenden Entität verwandelt. Der Vogel ist jedoch unbewusst von dieser Reaktion der Natur und der Tiere. Er singt einfach weiter, ohne zu wissen, dass sein Gesang die Welt in Bewegung setzt.

Die letzte Zeile, „Er aber weiß es nicht und singt und singt“, bringt die Unbewusstheit des kreativen Prozesses zum Ausdruck. Der Vogel singt nicht aus Absicht oder mit dem Wissen, dass seine Lieder eine tiefere Wirkung haben, sondern einfach, weil es Teil seiner Natur ist. Dies könnte als Metapher für den kreativen Prozess eines Künstlers verstanden werden, der aus einer inneren Notwendigkeit heraus schöpft, ohne dabei immer die Auswirkung seiner Kunst zu erkennen. Kommerell zeigt in diesem Gedicht die Schönheit des Schaffens, das ohne Kalkulation und Bewusstsein entsteht und dennoch die Welt um sich herum mit Bedeutung und Leben erfüllt. Der Gesang des Vogels wird so zum Symbol für den schöpferischen Akt, der die Welt berührt, ohne dass der Schöpfer sich dieser Wirkung bewusst ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.