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Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Von

Der Winter ist ein rechter Mann,
kernfest und auf die Dauer;
sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an
und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund, ist er’s;
er krankt und kränkelt nimmer,
weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs
und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an
und läßt’s vorher nicht wärmen
und spottet über Fluß im Zahn
und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
haßt warmen Drang und warmen Klang
und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn’s Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;

wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich‘ und Seen krachen;
das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er sich tot lachen. –

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
beim Nordpol an dem Strande;
doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.

So ist‘ er denn bald dort, bald hier,
gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ein Lied hinterm Ofen zu singen von Matthias Claudius

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Lied hinterm Ofen zu singen“ von Matthias Claudius zeichnet ein lebhaftes, fast personifiziertes Bild des Winters. Er wird als kräftiger, unerschütterlicher „rechter Mann“ beschrieben, der Kälte nicht nur erträgt, sondern sie regelrecht liebt. Seine körperliche Robustheit und Abhärtung stehen im Kontrast zu den empfindlichen Menschen, die unter seiner Härte leiden. Die humorvolle Darstellung verleiht dem Gedicht eine leichte, volksliedhafte Note.

Der Winter wird als asketische Gestalt geschildert, die nichts von Wärme, Blumen oder Vogelgesang hält. Stattdessen gefällt ihm das Frostige und Unbarmherzige der kalten Jahreszeit. Besonders deutlich wird dies in der Szene, in der sich Menschen um den Ofen scharen, während draußen die Kälte alles erstarren lässt – ein Bild, das die existenzielle Macht des Winters unterstreicht. Seine Freude am frostigen Wetter wird fast spöttisch dargestellt, besonders wenn er sich über die klirrende Kälte „tot lacht“.

Die letzten Strophen erweitern das Bild des Winters durch die Vorstellung seiner Residenzen: ein eisiges Schloss am Nordpol und ein Sommerquartier in der Schweiz. Diese fast märchenhafte Darstellung betont seine Allgegenwart und seinen zyklischen Einfluss. Das Gedicht endet mit der resignierten Feststellung, dass die Menschen dem Winter letztlich machtlos gegenüberstehen – sie können ihn nur beobachten und frieren. Damit verbindet Claudius Naturbeschreibung mit feinem Humor und einem Hauch von volksnaher Weisheit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.