Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , ,

Der Säemann säet den Samen

Von

Der Säemann säet den Samen,
Die Erd empfängt ihn,
Und über ein kleines
Keimet die Blume herauf.

Du liebtest sie. Was auch dies Leben
Sonst für Gewinn hat,
War klein Dir geachtet,
Und sie entschlummerte Dir!

Was weinest Du neben dem Grabe
Und hebst die Hände
Zur Wolke des Todes
Und der Verwesung empor?

Wie Gras auf dem Felde sind Menschen
Dahin, wie Blätter!
Nur wenige Tage
Gehn wir verkleidet einher!

Der Adler besuchet die Erde,
Doch säumt nicht,
Schüttelt vom Flügel den Staub,
Und Kehret zur Sonne zurück!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Säemann säet den Samen von Matthias Claudius

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Säemann säet den Samen“ von Matthias Claudius ist eine poetisch-meditative Auseinandersetzung mit Tod, Vergänglichkeit und Hoffnung auf ein Weiterleben. In einfachen, aber eindrucksstarken Bildern verbindet Claudius die Natur mit geistlichen Sinnbildern, um Trost angesichts des Verlustes eines geliebten Menschen zu spenden.

Der erste Vers verweist auf das Gleichnis des Säemanns aus dem Neuen Testament. Der Samen, der in die Erde fällt, steht symbolisch für den Tod, doch auch für die Hoffnung auf neues Leben: „Und über ein kleines / Keimet die Blume herauf.“ Diese Zeilen lassen den Tod nicht als endgültiges Ende erscheinen, sondern als Anfang einer Verwandlung – als Übergang in eine andere, erblühende Existenz.

Im zweiten Abschnitt tritt das persönliche Element hinzu: Eine geliebte Person ist gestorben. Das lyrische Ich beschreibt, dass der Verstorbene einst die Welt und ihre Freuden gering achtete, weil seine Liebe – vermutlich zu Gott oder zum inneren Höheren – größer war. Der Tod dieser Person erscheint nicht als Katastrophe, sondern als „Entschlummern“, also als friedlicher, natürlicher Vorgang. Dennoch bleibt das Bild des weinenden Trauernden neben dem Grab. Die Frage, warum man angesichts der Vergänglichkeit trauert, wird nicht schroff zurückgewiesen, sondern mit einem Appell an die Einsicht beantwortet.

Die dritte und vierte Strophe thematisieren die allgemeine menschliche Vergänglichkeit: Der Mensch ist „wie Gras“, „wie Blätter“ – ein klassisches Motiv der biblischen Vanitas-Tradition. Doch auch hier bleibt Claudius nicht in der bloßen Klage. Das Bild des Adlers, das das Gedicht abschließt, setzt einen hoffnungsvollen Kontrapunkt: Der Adler, königlicher Vogel und Sinnbild der Seele, besucht die Erde nur kurz, schüttelt den Staub ab und kehrt zur Sonne zurück. Die Sonne steht hier sinnbildlich für das Göttliche, für das Licht des ewigen Lebens.

In „Der Säemann säet den Samen“ bringt Claudius eine tiefe christliche Hoffnung zur Sprache: Der Tod ist kein Ende, sondern ein Übergang; das irdische Leben nur ein kurzer Aufenthalt. Durch die Verbindung von Naturbeobachtung, Bibelmotiven und innerer Sammlung schafft das Gedicht einen stillen Trost, der sich aus dem Vertrauen auf ein höheres Ziel jenseits der sichtbaren Welt speist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.