Schatten
Hüte dich, wider den Tag
die suchende Seele zu kehren,
weil es geschehen mag,
dass sich die Schatten empören.
All dein Dunkles gewinnt
Form und Leben in ihnen,
deine Geheimnisse sind
dann nicht mehr treu, dir zu dienen;
Deine Geheimnisse stehn
gegen dich, riesige Recken,
und dann kann es geschehn,
dass ihre Schilde dich decken.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Schatten“ von Margarete Beutler warnt vor der Gefahr, sich dem Tag und der Offenbarung der eigenen inneren Welt zu stellen. Die „suchende Seele“, die gegen den Tag gerichtet wird, scheint den Drang zu verspüren, sich zu offenbaren oder nach Erkenntnis zu streben. Doch diese Bewegung wird als gefährlich dargestellt, da sich „die Schatten empören“ könnten – ein Bild dafür, dass die dunklen, verborgenen Aspekte des Selbst, die normalerweise im Verborgenen bleiben, ans Licht treten und sich gegen den Suchenden richten.
In der zweiten Strophe wird deutlich, dass die Dunkelheit, die mit diesen Schatten verbunden ist, eine eigene Form und Lebendigkeit annimmt. Die „Geheimnisse“, die die Seele normalerweise schützt, können nicht mehr kontrolliert werden. Sie „stehen gegen dich“ – sie verlieren ihre Funktion als vertraute, treue Begleiter und wandeln sich zu einer Bedrohung. Das Gedicht beschreibt die inneren Geheimnisse als etwas, das sowohl Schutz bieten als auch zerstörerisch wirken kann, wenn es nicht in seiner Dunkelheit belassen wird.
Die dritte Strophe bringt eine bedrohliche Wendung, indem sie die „Geheimnisse“ als „riesige Recken“ darstellt, die sich gegen das lyrische Ich wenden. Die „Schilde“, die die Geheimnisse nun bieten, sind keine schützenden, sondern entlarvende Kräfte, die den Schutz der Seele aufheben und sie im Gegenzug aufdecken. Dies verstärkt das Bild der Gefahr der Selbstenthüllung und die mögliche Zerstörung durch das, was bisher verborgen blieb. Der Schatten wird somit zum Symbol für das Unkontrollierbare und das Bedrohliche im Inneren des Menschen.
Das Gedicht insgesamt zeigt die duale Natur von Geheimnissen und Schatten. Sie können sowohl bewahren als auch zerstören, je nachdem, wie der Mensch mit ihnen umgeht. Es wird vor der Gefahr gewarnt, sich zu sehr den eigenen dunklen Seiten zu nähern, da diese, einmal entfesselt, unaufhaltsam werden können und das eigene Selbst in Gefahr bringen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.