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Dirnenlied

Von

Einst war ich der Tag –
als ich blütenumlacht
im Mädchentraum lag –
nun bin ich die Nacht.

Bin die lockende Nacht,
trage Sterne im Haar,
und viel Dunkel gebracht
hat mein Augenpaar.

Den Knaben zumeist
biet ich giftige Frucht,
die mit schüchternem Geist
nach Liebe gesucht.

Und so bin ich, ich weiß,
all der Mütter Qual,
deren Söhnen mit Fleiß
ich die Seele stahl.

Einst war ich der Tag –
als ich blütenumlacht
im Mädchentraum lag –
nun bin ich die Nacht.

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Gedicht: Dirnenlied von Margarete Beutler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Dirnenlied“ von Margarete Beutler reflektiert auf melancholische und zugleich selbstbewusste Weise die Wandlung einer Frau, die sich von einem unschuldigen, verträumten Mädchen zu einer verführerischen, mysteriösen Figur der „Nacht“ entwickelt hat. Zu Beginn des Gedichts wird die Sprecherin als „der Tag“ beschrieben, der in einem „Mädchentraum“ liegt, was eine Zeit des jugendlichen Idealismus und der Unbeschwertheit symbolisiert. Die „blütenumlacht“ beschriebene Szene verweist auf eine Zeit der Unschuld und der kindlichen Schönheit.

Im weiteren Verlauf des Gedichts vollzieht sich ein dramatischer Wechsel, als die Sprecherin die Metamorphose zur „Nacht“ vollzieht. Sie trägt nun „Sterne im Haar“ und „viel Dunkel“ in ihren Augen, was die Verführungskraft und die Mystik der Nacht verkörpert. Der „Knabe“ wird von ihr mit „giftiger Frucht“ konfrontiert, was darauf hinweist, dass ihre Liebe und Verführung in diesem Stadium eine dunklere, gefährlichere Qualität angenommen haben. Es wird deutlich, dass die Frau nun in einer Rolle lebt, die sowohl Macht als auch Zerstörung beinhaltet – eine paradoxe Verbindung von Anziehung und Bedrohung.

Die Sprecherin ist sich ihrer eigenen Verwandlung und ihrer Wirkung auf die Männer bewusst. Sie beschreibt sich als eine Quelle der Qual für die Mütter, deren „Söhne“ sie mit „Fleiß“ die Seele stiehlt, was auf die verführerische Macht hinweist, die sie über die männliche Welt ausübt. Diese Zeilen bringen eine kritische Reflexion über das Verhältnis zwischen weiblicher Verführung und männlicher Abhängigkeit, sowie die gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen in dieser Rolle.

Das Gedicht schließt mit der Wiederholung der ersten Zeilen, was den Zyklus der Veränderung und die Unausweichlichkeit des Wandels betont. Die Sprecherin ist sich ihrer neuen Identität und ihrer Macht als „Nacht“ bewusst, doch gleichzeitig spürt man in ihren Worten eine gewisse Trauer über den Verlust der Unschuld und der frühen Jugend. Sie ist nicht nur das Opfer ihrer eigenen Verwandlung, sondern auch der Gesellschaft, die diese Transformation fordert und vielleicht sogar vorantreibt. Das Gedicht endet mit einer Reflexion über die duale Natur von Weiblichkeit und Verführung, die sowohl zerstörerisch als auch kraftvoll ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.