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Die Kommenden

Von

Ein Kinderplatz, mit Sand und Ruß bedeckt,
von kläglich blassen Sträuchern eingeheckt.

Da wächst es auf, das kommende Geschlecht,
das einst – vielleicht! – der Mutter Tränen rächt.

Dort baut es ahnend sich ein hartes Ziel –
Das Leben reicht ihm Steine überviel –

Und – es ist närrisch – ob dem Geisterbau
des Himmels zärtlichstes Septemberblau.

Von jener breiten Kinderstirne spricht
ein schwarzes Trotzen: Und ich weiche nicht.

Ich weiß schon längst, was in der Welt so Brauch,
und wie es Vater macht, so mach ichs auch.

Mein Hass den Fetten an die Gurgel springt,
bis einst auch mich der blutige Strom verschlingt.

Dies Mädchen – wie ihr keck die Zunge geht –
sie sprach wohl nie ein Kindernachtgebet –

Noch trägt sie unbewusst ihr Lumpenkleid,
wie lange noch, dann kommt auch ihre Zeit.

Dann schlingt sie schmutzige Bänder sich ins Haar
und bietet lachend ihre Reize dar.

Und ein paar Jahre roher Lust – dann hat
der Tod sie lieb auf sündiger Lagerstatt…

Wie dieser Knabenmund so schmerzlich ist!
Ach, wenn ihn niemand als der Hunger küsst!

Die Mutter wusch, bis sie zum Tode krank,
und als sie starb, da sprach sie: Gott sei Dank!

Ein altes Weib erstand den Knaben sich,
doch sie ist arm und hart und wunderlich.

Für ein Stück Brot in Morgennebelstund
läuft er sich Tag für Tag die Füße wund.

Und Tag für Tag saugt von den Lippen ihm
den Frühlingssegen seines Cherubim.

Sein Engel schläft – und Engel schlafen fest.
Kein Kinderjammer, der sie wachen lässt. —

Wie wildes, fruchtlos starres Binsenrohr,
wächst so Geschlecht hier für Geschlecht empor.

Und jeder Mai entlockt dasselbe Laub
den magern Sträuchern – blass bedeckt mit Staub.

Weit, weit davon predigt die Sonnenpracht:
Ich bin das Licht, das alle glücklich macht.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Kommenden von Margarete Beutler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Kommenden“ von Margarete Beutler ist eine eindringliche, gesellschaftskritische Darstellung des Elends und der Aussichtslosigkeit der heranwachsenden Generation in einem von Armut und sozialer Kälte geprägten Umfeld. Bereits der erste Vers – ein „Kinderplatz, mit Sand und Ruß bedeckt“ – zeichnet ein Bild des Verfalls, das sinnbildlich für die Lebensbedingungen steht, in denen die Kinder aufwachsen. In dieser kargen, trostlosen Umgebung wachsen sie heran, voller Trotz und unbewusster Rebellion, aber auch geprägt von einer frühen Härte und Bitterkeit.

Das Gedicht kontrastiert die kindliche Welt mit einer düsteren Vorahnung ihrer zukünftigen Lebenswege. Die Jungen zeigen früh einen zornigen Widerstand („Mein Hass den Fetten an die Gurgel springt“), die Mädchen verfallen in ein Muster der Selbstausbeutung, das als unausweichlich erscheint. Diese Schicksale wirken vorgezeichnet: das Mädchen, das bald „lachend ihre Reize dar[bietet]“, und der Junge, der unter Hunger leidet, sind Beispiele für soziale Determinierung. Die Kritik richtet sich hier an eine Gesellschaft, die ihre Schwächsten früh ausliefert und keinerlei Schutz bietet.

Zentrale Motive des Gedichts sind soziale Vererbung und Hoffnungslosigkeit. Die Mutter, die sich zu Tode arbeitet, stirbt mit dem resignierten Ruf „Gott sei Dank!“ – eine sarkastische Brechung religiöser Hoffnung. Auch der Engel, der dem Jungen als Symbol kindlicher Unschuld beigegeben scheint, schläft fest, unfähig zu trösten oder einzugreifen. Die Kinder sind allein, der Kreislauf des Elends setzt sich ungehindert fort: „Wie wildes, fruchtlos starres Binsenrohr / wächst so Geschlecht hier für Geschlecht empor.“

Besonders bitter wirkt der Schluss: Während die „Sonnenpracht“ in weiter Ferne das Glück verheißt, bleibt sie für die Kinder unerreichbar. Das Licht, das alle glücklich machen soll, scheint in zynischer Distanz zur Realität zu stehen – ein Sinnbild für leere Versprechen der Gesellschaft oder Religion. Beutlers Gedicht klagt nicht nur an, es dokumentiert eindrucksvoll eine verlorene Kindheit, deren Zukunft bereits von Hoffnungslosigkeit gezeichnet ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.