Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , ,

Die Zürcher Glocken

Von

O, du wunderbarer grüner
See, im schönen Schweizerland,
Wie so lieblich sich die stolze
Zürich schmiegt an deinen Rand!
Hüben sanfte Rebenhügel
Hingestreut wie ein Idyll,
Drüben majestätsche Alpen,
Schneebedecket, ernst und still.

Wie ein Mann ruhst du dazwischen,
Dem ein Zaubrer Alles lieh,
Tiefsten Ernst und Morgenfrische,
Frohe, starke Poesie.
Lächelst in so holder Schöne –
Fast Vergessen mich umstrickt,
Dass mir von den grünen Höhen
Auch ein Grab entgegen blickt.

Weh, da tönen Glockenklänge,
Schneiden mir ins tiefste Herz,
Niemals wachte so gewaltig
In mir auf der erste Schmerz!
Weh, das sind dieselben Glocken,
Welche bebten durch die Luft,
Als man deine teure Hülle
Senkte in die kühle Gruft!
Alles Andre ist vergangen,

Selbst den Schmerz betört die Zeit,
Aber diese Glocken sprechen
Noch so laut, als wär es heut,
Dass der besten Geister einem,
Ganz erfüllt vom höchsten Drang,
Dass dem treusten, wärmsten Herzen
Sie getönt den Grabgesang!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Zürcher Glocken von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Zürcher Glocken“ von Luise Büchner ist eine tief emotionale Reflexion über Verlust, Erinnerung und die Macht der Orte und Klänge, alte Gefühle wieder wachzurufen. Im Zentrum steht das Nebeneinander von landschaftlicher Schönheit und persönlichem Schmerz, das die Dichterin in eindrucksvollen Bildern entfaltet.

Die ersten beiden Strophen zeichnen ein idyllisches Bild der Zürcher Umgebung: Der grüne See, die sanften Hügel und die schneebedeckten Alpen bilden eine fast überhöhte Szenerie, in der Natur und Stadt in vollkommener Harmonie erscheinen. Zürich wird personifiziert als „stolze“ Stadt, die sich „schmiegt“ – zärtlich, lebendig, vertraut. Diese ruhige Schönheit erhält durch die poetische Beschreibung eine beinahe heilige Aura.

Doch in der dritten Strophe bricht ein starker Kontrast auf: Trotz aller Harmonie mischt sich Trauer in das Bild. Der See wird zum Sinnbild eines Menschen, „dem ein Zaubrer Alles lieh“ – eine Mischung aus Ernst, Frische und Poesie. Die Erinnerung an ein Grab auf den grünen Höhen unterbricht das Staunen über die Schönheit der Landschaft. Das lyrische Ich fühlt sich von der Schönheit fast eingelullt, bis es sich an den Schmerz erinnert, der mit diesem Ort verbunden ist.

In den folgenden Strophen treten die Glocken in den Vordergrund. Ihr Klang durchdringt die friedliche Szenerie und reißt das lyrische Ich aus seiner Versunkenheit. Die Glocken sind das akustische Auslösermoment, das den ersten, tiefen Schmerz wieder aufleben lässt – offenbar im Zusammenhang mit dem Tod eines geliebten Menschen. Diese Glocken haben damals den Grabgesang für eine „teure Hülle“ gespielt – für einen geliebten Menschen, der in Zürich beigesetzt wurde.

In der letzten Strophe wird der Schmerz universeller: Die Glocken erinnern nicht nur an eine private Trauer, sondern an den Tod eines außergewöhnlichen Menschen – „einer der besten Geister“, „dem treusten, wärmsten Herzen“. Damit erhält die Trauer eine kulturelle oder geistige Dimension. Die Erinnerung bleibt lebendig durch die Glocken, die wie Zeugen der Vergangenheit wirken und gegen das Vergessen ansingen. Das Gedicht thematisiert somit die Macht der Erinnerung, die in Klängen und Orten bewahrt wird, und zeigt, wie tiefe Gefühle an äußere Reize gebunden sein können – in diesem Fall an das Läuten der Zürcher Glocken.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.