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Die Buche

Von

Allein steht eine Buche
Entfernt vom Waldesplan,
Von Sträuchern nur umgeben
Zu klein, sie zu erstreben,
An die sie sich nicht lehnen kann.

Doch wie sie so alleine
Dort wurzelt stolz und stark,
Verkünden Wuchs und Krone,
Dass tief im Innern wohne
Ein kräftiges und edles Mark.

Es mag der Sturm umpeitschen
Und wild umtoben sie;
Er mag die Zweige knicken,
Die Blitze sie umzücken,
Den Wipfel beugt sie feige nie!

Doch unter diesem Wipfel
Hängt sicher manches Nest,
Zur Blüte Knospen streben,
Hebt sich zu höhrem Leben
Am Stamm empor der Efeu fest.

O, Baum, in deiner Höhe,
Wie glücklich scheinst du mir!
Die Starke bei den Schwachen,
Darfst du sie stolz bewachen
Und Alles schaut hinauf zu dir!

Da reget sie die Zweige
Und flüstert leis und lind:
„Wohl schön ists, dass ich ihnen,
Den Schwachen, hier kann dienen,
Doch bin ich drum nicht frohgesinnt.

Wie ich allein hier stehe
Ganz auf mich selbst gestellt,
Wär unter meinem Dache
Ich lieber doch die schwache
Feldblume, die mein Schutz erhält.

Wär lieber selbst das Vöglein,
Das süß mir Lieder singt,
Am liebsten wohl der warme
Efeu, der seine Arme
In Lieb und Treue um mich schlingt!“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Buche von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Buche“ von Luise Büchner beschreibt zunächst ein kraftvolles Bild von Stärke, Standhaftigkeit und Schutz, nur um diese äußere Erhabenheit in den späteren Strophen in Frage zu stellen. Im Zentrum steht eine einzelne Buche, die – isoliert von anderen Bäumen – dennoch stolz, stark und unbeugsam dasteht. Ihre äußere Erscheinung suggeriert innere Stärke, ein „kräftiges und edles Mark“, das sie gegen Stürme und Blitze unerschütterlich macht.

Gleichzeitig wird sie aber auch zur Zuflucht für Schwächere: Vögel bauen in ihr Nester, Efeu schmiegt sich an ihren Stamm, Blüten streben an ihr empor. So erhält die Buche eine symbolische Funktion als Beschützerin, als Starke unter den Schwachen – eine scheinbar ideale, bewunderte Position, die auch vom lyrischen Ich zunächst als beneidenswert dargestellt wird.

Doch diese Außenperspektive kippt im letzten Drittel des Gedichts, als die Buche selbst zu sprechen beginnt. Ihre Worte offenbaren eine stille Melancholie: Sie empfindet ihre Stärke als Last, ihre Einsamkeit als Schmerz. Die vermeintliche Erhabenheit ist mit einem Mangel an Nähe und Zärtlichkeit verbunden. Die Buche sehnt sich nicht nach Stärke, sondern nach Geborgenheit, nach Schwäche, die angenommen wird – sie wäre lieber eine geschützte Feldblume, ein Vogel oder der umschlingende Efeu.

Die zentrale Thematik des Gedichts ist somit die Kluft zwischen äußerer Stärke und innerem Empfinden. Büchner thematisiert den oft romantisierten Blick auf Stärke und Unabhängigkeit, nur um ihn zu dekonstruieren: Selbst die scheinbar Starken sehnen sich nach Nähe, Zuneigung und Verbundenheit. In dieser Wendung liegt eine feine, zutiefst menschliche Tragik, die dem Gedicht seine emotionale Tiefe verleiht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.