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Zeit

Von

So wandelt sie, im ewig gleichen Kreise,
Die Zeit nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind,
Das unbefangne Menschenkind
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von aussen nichts sich je erneut,
In Dir trägst du die wechselnde Zeit,
In Dir nur Glück und Begebenheit.

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Gedicht: Zeit von Ludwig Tieck

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zeit“ von Ludwig Tieck behandelt das Thema der Zeit als einen stetigen, unveränderlichen Fluss, der jedoch in seiner Wahrnehmung von den Menschen selbst geprägt wird. Die erste Strophe beschreibt die Zeit als eine „taube und blinde“ Macht, die in einem „ewig gleichen Kreise“ wandelt. Sie wird als eine unaufhaltsame, gleichmäßige Kraft dargestellt, die ihrem eigenen Gesetz folgt, ohne Rücksicht auf die Einzelnen. Das „unbefangene Menschenkind“ jedoch hofft stets auf das „seltsam neue Glück“, das der nächste Augenblick bringen könnte. Diese Hoffnung auf das Unvorhersehbare und die Erwartung von Glück sind typisch menschliche Reaktionen auf die Zeit, die ihren Lauf scheinbar ohne Einfluss der Menschen nimmt.

In der zweiten Strophe beschreibt Tieck die zyklische Natur der Zeit. Die Sonne geht auf und wieder unter, der Mond kommt und geht, und die Nacht sinkt hernieder – all diese natürlichen Zyklen sind festgelegt und wiederholen sich ständig. Die „Stunden“, die „Wochen“ und die „Jahreszeiten“ folgen in einer endlosen Abfolge. Tieck verdeutlicht hier die Unveränderlichkeit der äußeren Welt, die in ihren Rhythmen konstant bleibt und sich nicht verändert. Trotz dieser äußeren Regelmäßigkeit bleibt die innere Wahrnehmung der Zeit des Menschen von Veränderung und Erwartung geprägt.

Die dritte Strophe führt jedoch eine entscheidende Wendung ein. Tieck stellt fest, dass von außen „nichts sich je erneut“, was bedeutet, dass die äußeren Zyklen der Zeit immer wieder dieselben sind, aber die wahre Veränderung und das wahre Leben tragen die Menschen in sich selbst. Die „wechselnde Zeit“ ist nicht nur ein äußeres Phänomen, sondern wird auch in jedem Einzelnen von uns getragen und wahrgenommen. Unsere inneren „Glückserlebnisse“ und „Begebenheiten“ – also unser eigenes Erleben und Fühlen – sind es, die die Zeit für uns verändern und neu gestalten.

Das Gedicht endet mit der Erkenntnis, dass die wahre Kraft der Zeit nicht nur in den äußeren Zyklen liegt, sondern in der persönlichen Wahrnehmung und der inneren Erfahrung des Menschen. Tieck stellt die Zeit nicht nur als ein äußeres Geschehen dar, sondern als ein subjektives Erlebnis, das durch die eigenen Erwartungen und Erfahrungen bestimmt wird. Die Zeit wird hier als eine innere, persönliche Dimension beschrieben, die uns in jedem Moment neue „Glücksmomente“ oder „Begebenheiten“ schenkt, die sie für uns bedeutsam und lebendig machen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.