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Lebenspflichten

Von

Rosen auf den Weg gestreut,
Und des Harms vergeßen!
Eine kleine Spanne Zeit
Ward uns zugemessen.

Heute hüpft, im Frühlingstanz,
Noch der frohe Knabe;
Morgen weht der Todtenkranz
Schon auf seinem Grabe.

Wonne führt die junge Braut
Heute zum Altare;
Eh die Abendwolke thaut,
Ruht sie auf der Bahre.

Ungewißer, kurzer Daur
Ist dieß Erdeleben;
Und zur Freude, nicht zur Traur,
Uns von Gott gegeben.

Gebet Harm und Grillenfang,
Gebet ihn den Winden;
Ruht, bey frohem Becherklang,
Unter grünen Linden.

Laßet keine Nachtigall
Unbehorcht verstummen,
Keine Bien‘, im Frühlingsthal,
Unbelauschet summen.

Fühlt, so lang es Gott erlaubt,
Kuß und süße Trauben,
Bis der Tod, der alles raubt,
Kommt, sie euch zu rauben.

Unser schlummerndes Gebein,
In die Gruft gesäet,
Fühlet nicht den Rosenhayn,
Der das Grab umwehet.

Fühlet nicht den Wonneklang
Angestoßner Becher;
Nicht den frohen Rundgesang
Weingelehrter Zecher.

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Gedicht: Lebenspflichten von Ludwig Christoph Heinrich Hölty

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lebenspflichten“ von Ludwig Christoph Heinrich Hölty ist ein eindringlicher Appell an die Leser, das kurze und ungewisse Leben in vollen Zügen zu genießen. Dabei verbindet Hölty die Vergänglichkeit menschlichen Daseins mit der Forderung nach Lebensfreude, Sinneslust und bewusstem Erleben. Der Titel spielt mit einem Kontrast: „Pflicht“ suggeriert Ernst und Verantwortung – doch hier wird das Genießen selbst zur moralischen Pflicht erhoben.

In den ersten Strophen wird die Kürze des Lebens durch drastische Bilder deutlich gemacht: Der Knabe, der heute noch tanzt, kann morgen schon tot sein; die Braut, die eben erst heiratet, liegt bald auf der Totenbahre. Hölty nutzt diesen Kontrast zwischen Lebensfreude und plötzlichem Tod, um die Zerbrechlichkeit menschlicher Existenz hervorzuheben. Die Zeitspanne des Lebens erscheint als „kleine Spanne“, was den Aufruf zur bewussten Lebensführung noch dringlicher macht.

Die zentrale Botschaft lautet: Da das Leben unsicher und kurz ist, sollten wir es nicht mit „Harm und Grillenfang“ – also Sorgen und Grübeleien – verschwenden. Stattdessen empfiehlt Hölty, Freude in einfachen, sinnlichen Dingen zu suchen: im Klang von Bechern, im Gesang der Nachtigall, im Summen der Bienen oder im Genuss von Küssen und süßen Trauben. Die Natur wird dabei als Quelle des Glücks verstanden, der Mensch soll sich ihrer Schönheit nicht verschließen.

Besonders eindrücklich ist der Kontrast zwischen Leben und Tod in den letzten Strophen. Das lyrische Ich mahnt, dass das Grab weder Duft noch Klang noch Freude kennt. Was man im Leben nicht genießt, ist nach dem Tod unwiederbringlich verloren. Diese Vorstellung verleiht dem Gedicht eine melancholische Tiefe, ohne jedoch in Pessimismus zu verfallen. Vielmehr wird die Endlichkeit zur Motivation für intensives Erleben.

Höltys Gedicht verbindet somit Elemente des Rokoko – Lebenslust, Natursinn, Sinnlichkeit – mit aufklärerischem Gedankengut: Es ist nicht nur erlaubt, sondern geboten, das Leben bewusst und freudvoll zu gestalten. Die „Lebenspflicht“ ist nicht Askese, sondern die Pflicht zur Freude im Angesicht der Vergänglichkeit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.