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Tinctura Thebaica

Von

Laß mich dein wunderbares Glück erwerben,
Leblos zu leben, ohne Tod zu sterben.

Gebt mir den Saft! den braunen Saft vom Mohne,
Den Wundertrank von einer fremden Zone,
Der kochte dem Aequator nah‘.
Das Schlummergift, d’ran die Granatenlippen
Der Odalisken im Seraile nippen,
Den Lethekeich aus Afrika.

Gottlob! schon senkt ein schweres Nachtgefieder
Umhüllend, schützend sich auf mich hernieder;
Ich liege willenlos gebannt.
Die Glieder ruh’n, ich mag sie nicht bewegen,
Allein mein Herz, es klopft in mächt’gen Schlägen,
Stark pocht der Puls an meiner Hand.

Und um mich wogt’s und wirbelt’s von Gestalten,
Aus Nebelschleiern seh‘ ich sich entfalten,
Auftauchen Bilder wunderbar
Die gelben Strahlen von dem Sonnenbrande,
Darin der Mohn gereift im heißen Sande,
Durchblitzen meine Träume klar.

Welch prächtig Feld! wie schimmern die Turbane,
Purpurn, gleich jenen, welche die Sultane
Sich schlingt in’s rabenschwarze Haar.
Wie, oder sind es Köpfe, die zum Schrecken
Des Volks der Pascha ließ auf Piken stecken,
Ein Schmaus dem Geier und dem Aar.

Nein, glühende Turbane sind’s vom Mohne,
Der riesig aufschießt in der heißen Zone,
Wo Kopf an Kopf sich prächtig drängt.
Schon seh‘ ich, wie an allen seinen Ritzen,
Die braune Männer mit den Messern schlitzen,
Ein großer Opium-Tropfen hängt.

Es quillt und quillt, die Köpfe alle bluten,
Alsdann gerinnt in heißen Sonnen-Gluthen
Des Mohnes Hirn, sein Lebenssaft.
Kein Wunder, daß in unserm schwachen Hirne
Er in der dunkeln Höhle unsrer Stirne,
So wunderbare Träume schafft.

Denn in der Tropennacht, der dämmerklaren,
Steh’n geisterhaft des Mohns verletzte Schaaren;
Da quillt und tropft das Opium.
Der Himmel! blauer See mit Naphthaflammen,
Flicht über ihnen Strahl und Strahl zusammen; –
Wie trinken sie den Schimmer stumm!

Und Geisterklänge süß und schaurig schweben
Herüber aus dem einst so prächt’gen Theben,
In alle Tropfen dringt der Klang.
Denn Theben ward erbaut in Harmonieen,
Und seines Königs Lyraklänge ziehen
Um die versunknen Mauern bang.

Und nächtlich legt sich auf die klaren Lüfte
Der schwarze Schatten jener Königs-Grüfte,
Des sieb’ten Wunderwerks der Welt.
Es schlägt umsonst der Pyramiden Mauern
Der Flügelschlag der Zeit in Wetterschauern; –
Sie streben auf zum Sternenzelt!

Könige ruh’n, von Hüllen fest umwunden,
Mit köstlichen Gewürzen eingebunden,
Jahrtausende darin in Todesruh‘.
Und beinah‘ scheint mir’s, daß ich ihrer Leiche,
Umhüllt von Orients Schlummerbanden, gleiche; –
Doch traumlos schlafen jene zu.

Es wogt und wallt, die Meereswellen stöhnen,
Sie brechen sich am Strand mit dumpfem Dröhnen,
Durchrauschen meine Träume bang.
Wie schwarz die Wolke, – jetzt wird sie zerrissen,
Es flammt ein Strahl aus ihren Finsternissen,
Und horch! ein wundersüßer Klang!

Der Memnon klingt, des Bräut’gams eh’rnen Zwinger
Berühret Aurora mit dem Rosenfinger,
Der süße Klang, noch hallt er nach.
Und immer heller wird der Nebelschleier,
Mein Blick wird klar, mein Athem hebt sich freier,
Es siegt der Tag!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Tinctura Thebaica von Louise von Plönnies

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Tinctura Thebaica“ von Louise von Plönnies ist ein eindrucksvolles poetisches Experiment zwischen Rausch, Traum und Wirklichkeit. Es thematisiert die Wirkung von Opium – dem „braunen Saft vom Mohne“ – als ein Tor zu einer fremden, betörenden Welt voller exotischer Bilder, historischer Visionen und mystischer Klänge. Der Titel verweist auf eine historische Opiumtinktur, die im 18. und 19. Jahrhundert als Beruhigungs- und Schmerzmittel verwendet wurde, und bereits dieser Bezug deutet die schwebende Spannung zwischen Heilung, Flucht und möglichem Verhängnis an.

Gleich zu Beginn formuliert das lyrische Ich seinen Wunsch: „Leblos zu leben, ohne Tod zu sterben.“ Der Rausch erscheint als ein Zustand jenseits des Alltags, ein schmerzfreies Dämmern zwischen Leben und Tod. Sobald die Wirkung des Opiums einsetzt, beginnt eine Reise in eine orientalisch überhöhte Traumwelt – mit Turbanen, Sultanen, glühenden Sonnen und riesigen Mohnfeldern. Diese Bilder verschmelzen mit Gewalt und Pracht, mit Sinnlichkeit und Schrecken. Besonders eindrücklich ist das Bild der Mohnköpfe, die wie abgeschlagene Menschenköpfe bluten – eine makabre Metapher für die Gewinnung des Opiums, das selbst aus einem Akt der Verletzung hervorgeht.

In weiteren Strophen weitet sich das Traumbild in Richtung Ägyptens und der Antike: Der Opiumrausch evoziert Assoziationen zu Theben, den Pyramiden, den Königsgräbern. Diese Welt ist geprägt von Größe, Geheimnis und Zeitlosigkeit. Der Bezug auf die „Harmonieen“, in denen Theben erbaut worden sei, verleiht dem Bild eine fast musikalische Dimension – Klang und Raum verbinden sich zu einem poetischen Echo untergegangener Kulturen. Es entsteht ein Gefühl von Schweben zwischen Ewigem und Vergänglichem, zwischen Tod und Schönheit.

Doch das Gedicht endet nicht in Dunkelheit. In den letzten Versen durchbricht das Licht des Tages die Nebel und Schatten des Rausches. Der Klang des Memnon, der beim ersten Sonnenstrahl ertönt, wird zum Symbol für Erweckung und Übergang: „Es siegt der Tag!“ – Das Erwachen aus dem Rausch ist nicht abrupt, sondern wird als ästhetisches Erlebnis selbst noch Teil der Ekstase. Das Licht verdrängt die Nacht, aber nicht in zerstörerischer, sondern in verwandelnder Weise.

„Tinctura Thebaica“ ist eine poetisch dichte Vision zwischen Verführung und Gefahr, zwischen Schmerzflucht und Erkenntnis. Louise von Plönnies verbindet hier Natur, Mythos und Geschichte mit einem feinen Gespür für Rhythmus, Bildhaftigkeit und Atmosphäre. Das Opium wird nicht nur als Droge, sondern als Tor zu einer tiefen, inneren Wahrheit dargestellt – mit allen schillernden und bedrohlichen Facetten, die diese Reise in die Tiefe des Bewusstseins mit sich bringt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.