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Glas

Von

In einer engen kleinen Hütte
Liegt, marmorbleich und todesmatt,
Ein sterbend Weib mit edlen Zügen
Auf einer harten Lagerstatt.

Der Mutter blasses Haupt umschlinget
Ein holdes Mägdlein, zart und weiß;
Des Kummers bitt’re Thränen fallen
Aus ihrem Auge, schwer und heiß.

Mit bangem Schmerz küßt sie noch einmal
Der Mutter schmale welke Hand,
Dann eilt sie aus des Elends Wohnung
Den Pfad hinab am Waldesrand.

Zur Hütte eilt sie, wo sie schmelzen
Das Glas durch heißer Oefen Gluth;
Dort haucht der schwache Kindesodem
In Formen die geschmolz’ne Fluth.

Der Vater hat in jener Hölle
Die frische Lebenskraft verbraucht,
Hat seinen letzten schweren Seufzer
Beim heißen Werke ausgehaucht.

Und seit der Treue ihr gestorben,
Die Mutter aber krank und matt,
Hat dieses arme Kind erworben
Erquickung ihr an seiner Statt.

Doch schwankend werden ihre Schritte,
Die einst dem flücht’gen Rehe gleich,
Und trüber ihre blauen Augen,
Und ihre Wangen werden bleich.

Jetzt steht sie vor der Thür der Hütte;
Ob der Versäumniß ist ihr bang,
Da herrschet zürnend der Fabrikherr:
„Wo bleibst du, Träge, heut so lang!

Schon hast du eine volle Stunde
An deinem Tagewerk versäumt;
Heut Abend mußt du sie ersetzen! –
Nun flink an’s Werk und nicht geträumt.“

Da spricht sie weinend: „Herr, die Mutter,
Sie liegt daheim mir sterbenskrank;
Entlaßt nur heute mich der Arbeit,
Und nehmt dafür des Kindes Dank.“

Doch grollend ruft er: „Dich entlassen?
Und gar bei früher Morgenzeit!
In voller Gluth steh’n meine Oefen,
Zum Färben ist das Glas bereit.

Der Masse sollst du Farbe geben
Durch Borar und durch Antimon;
Im schönsten Purpur muß sie glühen, –
Sonst kommst du heut‘ um deinen Lohn.

Denn einen Kelch gilt es zu bilden,
Wie eine Rose, glühend roth.
Wenn er vollkommen dir gelinget,
Wird dir ein extra Stückchen Brod.

Und Perlen gilt es dann zu blasen;
Wenn jede einem Tropfen gleicht,
Wie er dort glänzt auf grünem Rasen,
Schenk‘ ich die Stunde dir vielleicht.“

Mit schwerem Herzen tritt das Mägdlein
In den erhitzten Hüttenraum,
Naht zitternd sich dem glüh’nden Ofen,
Entfernt des Glases Erdenschaum,

Mischt unter die geschmolzne Masse
Die Farben. Aengstlich und geschwind
Mit einem Schleier hat das blasse
Gesicht bedeckt das arme Kind;

Denn gift’ge Dünste weh’n erstickend,
Und halb bewußtlos, sterbensmatt,
Fühlt sie den schwachen Athem schwinden,
Den sie zum Blasen nöthig hat.

In Regenbogenfarben spielen
Rings um sie die Kristalle all‘; –
Doch ihres Auges Iris bleichet,
Trüb wird sein leuchtender Kristall.

Auf’s neue setzt sie in die Gluthen
Den schön gefärbten Glasesguß,
Der sich zu klaren Purpurfluthen
Im Höllenfeuer läutern muß.

Sie prüfet mit der Eisenruthe
Das klar geword’ne rothe Glas; –
Wie glüht so purpurroth die Masse, –
Des Mädchens Wange, ach, wie blaß!

Sie hebt die Masse aus dem Ofen,
Daß sie verkühl‘ ein wenig nur, –
Und formt, die Zeit nicht zu verlieren,
Erst die verlangte Perlenschnur.

Für jede Perle, die sie bildet,
Gleich einem Thauestropfen licht,
Rollt eine heiße Schmerzensthräne
Von ihrem bleichen Angesicht.

Also bedeuten Perlen Thränen,
Erpreßt durch schwerer Armuth Druck;
Doch ahnungslos schlingt ihr mit Lächeln
In euer Haar den Perlenschmuck.

Jetzt ist die Masse recht zum Blasen;
„O! wenn der Kelch der Rose gleicht,
Wie meine Perlen Thauestropfen,
Schenkt er die Stunde mir vielleicht.“

Das Mägdlein strengt zum heißen Werke
Den schwachen Athem an mit Macht; –
Schon dehnt sich aus die glüh’nde Kugel
Zu eines Kelches Rosenpracht.

In ihren Pulsen stürmt das Fieber,
Es jagt ihr Blut in wildem Lauf;
Noch einmal flammen ihre Augen,
Wie Kerzen vor’m Erlöschen, auf.

Und immer heller ist die Rose
Des Purpurkelches aufgegangen,
Und röther, immer röther glühen
Des Mägdleins sonst so blasse Wangen.

Die letzten Lebensgluthen haucht sie
Mit Todeshast in’s schöne Glas.
Die Purpurrose ist vollendet; –
Das Mägdlein liegt entseelt und blaß.

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Gedicht: Glas von Louise von Plönnies

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Glas“ von Louise von Plönnies schildert auf eindringliche und dramatische Weise das Schicksal eines armen Mädchens, das in einer Glasfabrik unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeitet, um seine sterbende Mutter zu versorgen. In einer Mischung aus sozialkritischer Anklage und poetischer Bildsprache zeigt das Gedicht die grausame Ausbeutung kindlicher Arbeitskraft in einer industrialisierten Welt, in der Menschlichkeit dem Profit geopfert wird.

Zunächst wird das Elend der Familie geschildert: Der Vater ist bereits an den Folgen der harten Arbeit in der Glasfabrik gestorben, die Mutter liegt schwer krank, und das Kind übernimmt aufopfernd die Verantwortung. Der Weg vom Krankenbett zur Arbeit markiert die Spannung zwischen familiärer Fürsorge und äußerer Pflichterfüllung. Als das Kind um einen freien Tag bittet, stößt es auf die kalte Unnachgiebigkeit des Fabrikherrn. Hier wird der Kontrast zwischen kindlicher Bedürftigkeit und ökonomischer Härte besonders deutlich – das Gedicht prangert diese Unmenschlichkeit unverblümt an.

In der zentralen Passage folgt eine genaue Beschreibung der Arbeit am glühenden Glas, das zum Symbol für Schönheit, aber auch für Leiden und Tod wird. Während das Kind Perlen bläst, die an Tautropfen erinnern sollen, rollen Tränen über ihr Gesicht – ein eindrucksvolles Bild, das die vermeintliche Schönheit des Endprodukts mit dem Schmerz seines Entstehens kontrastiert. Die Perlen stehen hier metaphorisch für das Leid, das hinter luxuriösem Schmuck verborgen liegt.

Das Finale des Gedichts ist besonders tragisch: In einem letzten Kraftakt formt das Mädchen den gewünschten Purpurkelch, der wie eine Rose erblüht. Doch dieser Akt kostet sie das Leben. Die Rose – traditionell Symbol für Schönheit und Liebe – wird hier zur Todesblume. Während das Kunstwerk vollendet ist, stirbt die Künstlerin. So wird das Glas selbst zum Sinnbild einer Welt, die äußerlich glänzt, aber auf Opfer und Elend gebaut ist.

Louise von Plönnies verbindet in „Glas“ Sozialkritik mit lyrischer Gestaltung. Sie prangert nicht nur die Missstände ihrer Zeit an, sondern gibt dem Leiden eine Stimme und ein Gesicht. Durch die Kontraste von Schönheit und Schmerz, Glanz und Elend, Kindheit und Tod, schafft sie ein tief bewegendes Gedicht, das sowohl moralisch aufrüttelt als auch poetisch beeindruckt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.