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Lied einer schlesischen Weberin

Von

Wenn’s in den Bergen rastet,
Der Mühlbach stärker rauscht,
Der Mond in stummer Klage
Durch’s stille Strohdach lauscht;
Wenn trüb die Lampe flackert
Im Winkel auf dem Schrein:
Dann fallen meine Hände
Müd in den Schooß hinein.

So hab‘ ich oft gesessen
Bis in die tiefe Nacht,
Geträumt mit offnen Augen,
Weiß nicht, was ich gedacht;
Doch immer heißer fielen
Die Thränen auf die Händ‘ –
Gedacht mag ich wohl haben:
Hat’s Elend gar kein End? –

Gestorben ist mein Vater, –
Vor Kurzem war’s ein Jahr –
Wie sanft und selig schlief er
Auf seiner Todtenbahr‘!
Der Liebste nahm die Büchse,
Zu helfen in der Noth;
Nicht wieder ist er kommen,
Der Förster schoß ihn todt. –

Es sagen oft die Leute:
„Du bist so jung und schön,
Und doch so bleich und traurig
Sollst du in Schmerz vergehn?“ –
„Nicht bleich und auch nicht traurig!“
Wie spricht sich das geschwind
Wo an dem weiten Himmel
Kein Sternlein mehr ich find‘!

Der Fabrikant ist kommen,
Sagt mir: „mein Herzenskind,
Wohl weiß ich, wie die Deinen
In Noth und Kummer sind;
Drum willst Du bei mir ruhen
Der Nächte drei und vier,
Sieh‘ dieses blanke Goldstück!
Sogleich gehört es Dir!“

Ich wußt‘ nicht, was ich hörte –
Sei Himmel du gerecht
Und lasse mir mein Elend,
Nur mache mich nicht schlecht!
O lasse mich nicht sinken!
Fast halt‘ ich’s nicht mehr aus,
Seh‘ ich die kranke Mutter
Und’s Schwesterlein zu Haus‘!

Jetzt ruh’n so still sie alle,
Verloschen ist das Licht,
Nur in der Brust das Wehe,
Die Thränen sind es nicht.
Kannst du, o Gott, nicht helfen,
So lass‘ uns lieber gehn,
Wo drunten tief im Thale
Die Trauerbirken steh’n! –

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Lied einer schlesischen Weberin von Louise Aston

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lied einer schlesischen Weberin“ von Louise Aston gibt in eindringlichen, schlichten Bildern das Leid einer jungen Frau aus der Unterschicht wieder, die in einem von Armut, Verlust und moralischem Druck geprägten Leben gefangen ist. Die Sprache ist klar und volkstümlich, was den Ausdruck von Not und innerer Zerrissenheit umso unmittelbarer wirken lässt. Das Gedicht entwickelt sich von stiller Trauer über familiäre Verluste bis hin zur existenziellen Verzweiflung – mit einem Ausblick, der tragisch und düster bleibt.

Schon die erste Strophe zeichnet ein düsteres Bild der häuslichen Umgebung: Der Mühlbach rauscht lauter, das Licht flackert, der Mond „lauscht“ – die Natur scheint das Elend der Sprecherin zu spiegeln. Ihre Hände sinken erschöpft in den Schoß, was auf einen Zustand völliger Kraftlosigkeit hinweist. Diese Müdigkeit ist jedoch nicht körperlich, sondern seelisch – ein Ausdruck tiefer Hoffnungslosigkeit.

Im weiteren Verlauf erfahren wir von den konkreten Schicksalsschlägen: Der Vater ist gestorben, der Geliebte wurde erschossen – vermutlich, weil er in seiner Not zu einer verbotenen Handlung gegriffen hatte. Diese beiden Verluste markieren die emotionale Leere im Leben der Sprecherin. Trotz ihrer Jugend hat sie keine Perspektive mehr. Die Frage „Hat’s Elend gar kein End?“ bringt diese tiefe Resignation auf den Punkt.

Besonders erschütternd ist die Episode mit dem Fabrikanten, der ihr Geld für sexuelle Dienste anbietet. Die junge Frau steht damit nicht nur vor der sozialen, sondern auch vor der moralischen Zerreißprobe. Ihr innerer Protest – „nur mache mich nicht schlecht!“ – ist ein letzter Versuch, Würde inmitten der Misere zu bewahren. Doch der Druck ist groß, die Not zu Hause – mit einer kranken Mutter und einem kleinen Schwesterlein – wird kaum mehr erträglich.

Die letzte Strophe lässt alle Hoffnung verblassen. Die Tränen sind versiegt, das Weinen ist einer stummen Verzweiflung gewichen. Der Blick auf die „Trauerbirken“ im Tal, ein traditionelles Symbol des Todes, lässt den Gedanken an den Freitod anklingen – nicht aus Selbstsucht, sondern als letzter Ausweg aus einem unerträglichen Leben.

Louise Aston zeichnet mit diesem Gedicht das Porträt einer Frau, die trotz ihrer Jugend gebrochen ist durch soziale Ungerechtigkeit, seelischen Schmerz und existenzielle Not. Es ist ein stilles, aber kraftvolles Protestlied gegen das Elend der unteren Klassen – geprägt von Empathie, moralischer Integrität und tiefer Menschlichkeit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.