Deine Umarmungen sind wie Sturm,
der uns über Weltenabgründe schwenkt,
Deine Umarmungen sind wie wildduftender Regen,
der das Blut mit Traum und Irrsein tränkt.
Aber dann ist Tag. Nachtschwere Augen brechen auf,
herwankend aus goldner Vernichtung und Tod,
Durch Ströme dunklen Bluts rausch ich zurück
wie Ebbe, fühle schneidend eine Not,
Höre deines Herzens Schlag an meinem Herzen klopfen
und weiß doch: du bist ganz fern und weit.
Fühle: überm Feuer dieser Lust, die wir entfacht,
weht eine Traurigkeit,
Näher an dir! Gewölk, das meinem stillern
Tagverlangen dein Gesicht entzieht,
Fremdes, darein du flüchtest, drin sich deine Inbrunst,
ferne Liebeslitaneien betend, niederkniet,
Herzblut, das tropft, verschollene Worte,
Streichen über heiße Stirn, Finger gefaltet,
Blicke zärtlich tauend, die ich nie gekannt –
Grenzenloses streckt sich wie ein undurchdringlich
tiefes, dämmerunggefülltes Land,
Gärten, zugewachsen, die ins Frühlicht eingeblüht
bei deiner Seele stehn –
Ich weiß: du müßtest über hundert Brücken,
weite zugesperrte Straßen gehn,
Rückwärts,
in dein Mädchenland zurück,
Müßtest deine Hand
mir geben und das lange Stück
Mit mir durchwandern,
bis Erinnerung, Lust und Wehe dir entschwänden,
Und wir in morgendlich begrünten Furchen
vor dem Tal des neuen Aufgangs ständen …
Aber du blickst zurück. Schrickst auf und schauerst.
Lächelst. Und deine Lippen sinken,
Geflügel wilder Schwäne, über meinen Mund,
als wollten sie sich um Erwachen
und Besinnung trinken.
La Querida
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „La Querida“ von Ernst Stadler ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Intensität und Vergänglichkeit einer leidenschaftlichen Beziehung. Es beschreibt eine Liebe, die von Sturm und Rausch geprägt ist, gleichzeitig aber auch von Distanz und Sehnsucht nach einer tieferen, bleibenden Verbindung. Stadler verwendet starke Bilder, um die widersprüchlichen Gefühle zu vermitteln, die mit dieser Art von Liebe einhergehen.
Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung der „Umarmungen“, die wie „Sturm“ und „wildduftender Regen“ wirken. Diese Metaphern suggerieren eine überwältigende, fast zerstörerische Leidenschaft, die den Geliebten über „Weltenabgründe“ schwingt und das „Blut mit Traum und Irrsein tränkt“. Doch nach dem Rausch folgt die Ernüchterung, der „Tag“, an dem die „nachtschweren Augen“ sich öffnen und die Realität zurückkehrt. Der Dichter spürt eine „Not“ und die Erkenntnis, dass die Geliebte, trotz körperlicher Nähe, „ganz fern und weit“ ist.
Die zweite Hälfte des Gedichts thematisiert die Unvereinbarkeit von Leidenschaft und Beständigkeit. Die „Traurigkeit“, die über dem „Feuer dieser Lust“ liegt, deutet auf die Erkenntnis hin, dass diese Beziehung nicht von Dauer sein kann. Stadler beschreibt die Geliebte als jemanden, der sich in ein „Fremdes“ flüchtet, wo ihre „Inbrunst“ verloren geht. Die Bilder von „verschollenen Worten“ und „zärtlich tauenden Blicken, die ich nie gekannt“ unterstreichen die Kluft zwischen den Liebenden. Das Bild eines „undurchdringlich tiefen, dämmerunggefüllten Land[es]“ verdeutlicht die innere Distanz, die sie trennt.
Der Höhepunkt des Gedichts ist die Vorstellung einer möglichen Zukunft, in der die Geliebte „in dein Mädchenland zurück“kehren müsste und gemeinsam mit dem Dichter einen langen Weg gehen müsste, um die Erinnerung an die vergangene Leidenschaft zu überwinden. Doch dieser Traum scheitert. Die Geliebte „blickt zurück“, „schrickt auf und schauerst“, und wählt letztendlich die Vergänglichkeit des Augenblicks, indem sie sich dem Dichter zuwendet und versucht, „Erwachen und Besinnung zu trinken“. Das Gedicht endet also mit einem bittersüßen Gefühl der Akzeptanz, dass die wahre Liebe oft unerreichbar bleibt und die Leidenschaft im Moment gelebt werden muss, auch wenn sie vergänglich ist.
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