Bürgerliche Wohltätigkeit
Sieh! Da steht das Erholungsheim
einer Aktiengesellschafts-Gruppe;
morgens gibt es Haferschleim
und abends Gerstensuppe.
Und die Arbeiter dürfen auch in den Park…
Gut. Das ist der Pfennig.
Und wo ist die Mark -?
Sie reichen euch manch Almosen hin
unter christlichen frommen Gebeten;
sie pflegen die leidende Wöchnerin,
denn sie brauchen ja die Proleten.
Sie liefern auch einen Armensarg…
Gut. Das ist der Pfennig. Und wo ist die Mark -?
Die Mark ist tausend- und tausendfach
in fremde Taschen geflossen;
die Dividende hat mit viel Krach
der Aufsichtsrat beschlossen.
Für euch die Brühe. Für sie das Mark.
Für euch der Pfennig. Für sie die Mark.
Proleten!
Fallt nicht auf den Schwindel rein!
Sie schulden euch mehr als sie geben.
Sie schulden euch alles! Die Ländereien,
die Bergwerke und die Wollfärbereien…
sie schulden euch Glück und Leben.
Nimm, was du kriegst. Aber pfeif auf den Quark.
Denk an deine Klasse! Und die mach stark!
Für dich der Pfennig! Für dich die Mark!
Kämpfe -!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Bürgerliche Wohltätigkeit“ von Kurt Tucholsky kritisiert scharf die scheinheilige Wohltätigkeit der herrschenden Klassen, die den arbeitenden Menschen Almosen und leere Gesten der Fürsorge anbieten, während sie selbst in Reichtum schwelgen. Tucholsky stellt das Bild eines „Erholungsheims“ dar, das von einer Aktiengesellschaft betrieben wird, deren Angebote – wie einfache Mahlzeiten – als großzügige Hilfe für die Arbeiter verkauft werden, jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Der wiederkehrende Hinweis auf den „Pfennig“ verdeutlicht, wie wenig den Armen tatsächlich gegeben wird, während der „Mark“ – das wahre Kapital – in den Taschen der Wohlhabenden verbleibt.
Der Dichter verweist auch auf die wohltätige Pflege der „leidenden Wöchnerin“ und die Bereitstellung eines „Armensargs“, um zu zeigen, wie die herrschende Klasse das Leid der Arbeiter als Mittel zur eigenen Legitimation und Machtsicherung nutzt. Diese Almosen, so Tucholsky, sind nur ein Ablenkungsmanöver, um das wahre Ausmaß der Ausbeutung zu verschleiern. „Für euch die Brühe, für sie das Mark“ ist eine direkte Anklage gegen die ungleiche Verteilung des Wohlstands und die systematische Benachteiligung der Arbeiterklasse.
Das Gedicht steigert sich in der dritten Strophe zu einem Angriff auf das kapitalistische System: Die „Mark“ ist längst in die Taschen der Reichen geflossen, die mit ihren „Dividenden“ den Wohlstand sichern, während die Arbeiter nur mit den kümmerlichen Resten abgespeist werden. Doch Tucholsky fordert in seiner Schlussfolgerung die Arbeiter auf, sich nicht mit dem „Pfennig“ zufrieden zu geben. Er ruft dazu auf, die wahre Macht in der Gesellschaft zu erkennen und für die eigenen Rechte zu kämpfen.
Der Appell „Kämpfe –!“ am Ende des Gedichts ist eine klare Aufforderung zur Revolution und zur Solidarität der Arbeiterklasse. Tucholsky fordert die Arbeiter auf, ihre politische und soziale Macht zu erkennen und sich gegen die ungerechte Verteilung von Reichtum und Macht zu erheben. Das Gedicht ist eine scharfe Sozialkritik und ein Aufruf zur Befreiung der Arbeiterklasse aus der Ausbeutung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.