Eisenbahn
Auf kühlen Eisen
Will ich verreisen,
Auf einer Bank, die rattern tut.
Schischischischischen.
Der Dampf dazwischen,
Das tut den kranken Nerven gut.
Die Passagiere
Sind Wirbeltiere
Und haben weiter keinen Zweck.
Die meisten scheinen
Das nicht zu meinen,
Doch diese wissen einen Dreck.
Am meisten vorne
Auf dem Balkorne,
Da steht ein Mann, der führen kann.
Diktatoren
Sind unverfroren
Und geben meist gewaltig an.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Eisenbahn“ von Kurt Schwitters spielt auf humorvolle und zugleich kritische Weise mit der Vorstellung einer Eisenbahnfahrt und den Menschen, die sie unternehmen. Zu Beginn beschreibt der Sprecher seine eigene, fast absurde Perspektive der Reise: „Auf kühlen Eisen / Will ich verreisen“, wobei das Bild des kühlen Metalls eine gewisse Kälte und Distanz in der Erfahrung der Reise suggeriert. Die „Bank, die rattern tut“ und das „Schischischischischen“ des Dampfs erzeugen ein eindrucksvolles Geräuschbild und betonen die mechanische, oft unpersönliche Natur der Eisenbahnreise.
Die Passagiere werden von Schwitters als „Wirbeltiere“ beschrieben, was sie in ihrer Bewegung und ihrem Verhalten wie Tiere erscheinen lässt, deren Zweck und Ziel nicht klar sind. Diese Beobachtung wirft einen ironischen Blick auf die Menschen, die in die Eisenbahn steigen, als wären sie Teil eines unreflektierten, vorgegebenen Systems. Die Zeilen „Die meisten scheinen / Das nicht zu meinen, / Doch diese wissen einen Dreck“ verdeutlichen eine kritische Haltung gegenüber den Passagieren, die scheinbar keinen tieferen Sinn oder Zweck in ihrer Reise erkennen. Schwitters stellt in Frage, ob der Zweck der Fahrt überhaupt verstanden wird.
Der Abschnitt über den Mann „auf dem Balkorne“, der „führen kann“, evoziert das Bild eines Führers oder Anführers – möglicherweise eine Anspielung auf autoritäre Führungsfiguren. Die Erwähnung von „Diktatoren“ in Verbindung mit dem „unverfrorenen“ Verhalten und dem „gewaltig Angeben“ verstärkt die satirische und kritische Haltung des Gedichts. Schwitters scheint mit dieser Darstellung sowohl die Machtstrukturen als auch die Menschen, die diese akzeptieren, zu kritisieren. Die Diktatoren, die sich selbstbewusst und ohne Skrupel präsentieren, stehen in starkem Kontrast zu den „Wirbeltieren“, die passiv und ohne Richtung sind.
Schwitters nutzt hier die Eisenbahnreise als Metapher für das gesellschaftliche Leben und die dynamischen, aber oft unreflektierten Bewegungen der Menschen in einer von Führung und Macht geprägten Welt. Die Sprache ist dabei humorvoll und absurd, was die Schärfe der Kritik umso deutlicher macht. Die scheinbare Leichtigkeit des Gedichts, gepaart mit den tiefgründigen Anspielungen, lädt den Leser ein, über das Zusammenspiel von Individuen, Macht und Gesellschaft nachzudenken.
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Lizenz und Verwendung
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